Vom Frühkonstitutionalismus zum Grundgesetz
All diese Entwicklungen wurden in Deutschland rezipiert und mit einigen Jahren Verzögerung auch verarbeitet. Montesquieu, Hobbes und Rousseau sind Vaterfiguren der geistigen Vorbereitung für das deutsche Streben nach einem Nationalstaat und einer Verfassung. Deutschland war zur Zeit des amerikanischen Kolonialkriegs und der französischen Revolution noch ein Flickenteppich von Kleinstaaten, genannt Heiliges Römisches Reich deutscher Nationen.
Erst nach und nach schlossen sich die Teilstaaten zu Bündnissen zusammen, sodass 1794 das allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten dem preußischen Teil einen rechtlich umfassenden Rahmen gab und erst 1806 sich der Rheinbund aus dem Zusammenschluss von anfänglich 16 und schließlich 36 Fürstentümern unter Austritt aus dem Heiligen Römischen Reich gründete.
Während der Rheinbund noch unter Protektion Napoleons und Frankreichs stand, setzen 1813 die Befreiungskriege unter einem Bündnis mit Russland gegen Frankreich ein, dem sich später Österreich, Schweden und England anschlossen. Nachdem die Machtverhältnisse, Staatsgrenzen und Herrschaftsverteilungen durch die letzten Jahrzehnte ins Wanken gekommen waren, wurde 1814 unter Vorsitz des österreichischen Außenministers Fürst von Metternich der Wiener Kongress einberufen, um eine restaurative Neuordnung der Mächte unter dem Gesichtspunkt der Legitimität der Fürstenherrschaft voranzutreiben. Größte Errungenschaft dieses Kongresses: Die Gründung des Deutschen Bundes. Zu diesem Staatenbund zählten damals unter anderem Preußen, Österreich, Bayern, Sachsen, Hannover, Württemberg und Hessen und in jedem einzelnen dieser Bundesländer sollte eine eigene Verfassungsfindung stattfinden.
Es hatte die Geburtsstunde eines Zeitalters geschlagen, die später als „Frühkonstitutionalismus“ bezeichnet werden sollte: 1817 feierten Burschenschaften das Wartburgfest und die Idee der nationalen Einheit, Freiheit und Selbstorganisation. Es ergingen (liberale) Verfassungen in Bayern, Baden, Württemberg, Hannover und zuletzt Sachsen-Coburg und Sachsen-Meiningen. 1830 setzte die zweite Verfassungsbewegung ein, in der Verfassungen nun nicht mehr aufoktroyiert, sondern als Vertrag zwischen Landesherren und den Ständen ausgehandelt wurden.
Erneut auftretende Unruhen, auch in Frankreich, gipfelten 1848 in Deutschland in der Märzrevolution, in der die Schaffung einer Volksvertretung und die Umgestaltung des Deutschen Bundes gefordert wurde. Eine solche Volksvertretung, Nationalversammlung genannt, trat in Frankfurt in der Paulskirche zusammen und beriet über die erste einheitliche Verfassung für Deutschland, wobei sich die politischen Fraktionen herausbildeten, welche die Grundstruktur unseres heutigen Parteiensystems bilden. Die Paulskirchenverfassung ist das große Vorbild des modernen Grundgesetzes, ist aber selbst nie in Kraft getreten. Hieraus wird gefolgert, dass sie wohl nur so verherrlicht wurde, weil ihre Mängel in der Praxis nie zur Geltung kommen konnten.