Alisha: Da müssen wir unbedingt auch noch drauf schauen. Vorher möchte ich jetzt aber deine Analyse der Juristinnen und Juristen hören. Also was macht den Rechtsbereich aus psychologischer Sicht aus? Gibt es sowas wie ein typisches Psychogramm? Gib uns mal deine Diagnose.
Diane: Also Psychogramm klingt ja immer gleich so böse.
Alisha: Findest du?
Diane: Ja, also zumindest so, dass man in bestimmte Schubladen gesteckt wird. Oder dass es ein fertiges Bild kreiert wird, von dem man dann nicht mehr runterkommt. Das ist natürlich auch so ein Vorurteil, was einem als Psycho immer sehr gerne entgegengebracht wird. Dass man eben Menschen in Schubladen steckt. Und das versuche ich hoffentlich erfolgreich nicht zu machen. Natürlich gibt es aber Punkte, die Juristinnen und Juristinnen an einigen Stellen gemeinsam haben. Ich würde auch sagen, es kommt immer darauf an, in was für einem Bereich bin ich. Ich glaube, man kann jetzt Amal Clooney, die als Menschenrechtlerin unterwegs ist, nicht gleichstellen mit - gehen wir in die ganz andere Richtung - dem Strafverteidiger, der Charles Manzon verteidigt hat. Oder auch, wenn ich für eine NGO arbeite oder für eine Großkanzlei sind da vielleicht auch noch mal sehr, sehr starke Unterschiede sowohl von Werten als auch von Herangehensweisen. Aber ich glaube, und das ist letztendlich, wir haben eben schon über die juristische Ausbildung gesprochen, ich glaube, dass letztendlich die sehr stark prägt dafür, dass - ich sag's jetzt mal plakativ - der Juristinnen und Juristen häufig sehr, sehr perfektionistisch sind, sehr starke Einzelkämpfer, Menschen mit einem sehr, sehr hohen Anspruch an sich selbst und auch an andere, was wieder eng mit dem Perfektionismus auch zusammenhängt. Und eben durch das Einzelkämpfertum eben auch wenig Unterstützung gesucht wird bei anderen. Was natürlich auch dann leichter zu führen kann, dass man sich überfordert. Und da durch den hohen Konkurrenzkampf, den man ja auch schon im Studium erlebt, oft auch ein gewisses Misstrauen gegenüber anderen besteht, was ja auch, sag ich mal so, in der juristischen Arbeit zum Teil liegt, weil es ja immer zwei Parteien gibt. Also auch das macht sicherlich was aus. Ganz interessant finde ich, dass zum Beispiel in den USA Juristen sich häufig als nicht so anerkannte Berufsgruppe sehen, was vielleicht ein Stück weit damit auch zu tun hat, dass es da eben noch Fälle gibt, wo ich halt McDonalds verklagen kann wegen dem verschütteten Kaffee für dreieinhalb Millionen oder dass da Menschen aus der Branche in Notaufnahmen sitzen und irgendwie große Schadensersatzklagen vermuten.
Alisha: Visitenkarten verteilen…
Diane: So was gibt es hier in Deutschland eben nicht. Ja, also ich denke, hier ist der Beruf ja eher ein sehr, sehr anerkanter.
Alisha: Das ist so, würde ich auch sagen. Mein Eindruck ist tatsächlich aber auch, dass die Juristinnen und Juristen das auch einfordern. Also, dass es irgendwie fast zum Selbstbild dazugehört, dass man auch möchte, dass es ein anerkanter Beruf ist.
Diane: Und ich glaube, das kriegen die auch schon in den ersten Semestern von den Professoren mitgegeben. Also ich kenne Geschichten, dass Professoren in die Vorlesungen gehen im Erstsemester und sagen, naja, sie brauchen sich gar nicht hier mit ihrem Nachbar irgendwie anzufreunden, weil die Wahrscheinlichkeit, dass der übermorgen weg ist, ist sehr hoch.
Alisha: Ja, schauen sie nach rechts und nach links, so es wird nur einer von ihnen dreien. Also das sind ja so die Geschichten, die man kennt, und die kennen auch wirklich alle, weil die, die ja tatsächlich stattfinden, oder die versteckten Bücher in der Bibliothek, weil man eine Hausarbeit schreibt und da steht was Wichtiges drin. Es ist interessant, ich frage mich halt immer, sind das schon Leute mit einem bestimmten Mindset, die dann Jura studieren? Ich meine, ich habe selber Jura studiert. Natürlich, wir denken alle von uns selber, dass wir ja nicht so sind. Niemand wird ja sagen, ja, ich habe genau die gleiche Denkart und trotzdem fällt es irgendwie auf. Oder ist es die Ausbildung, die einen vielleicht dann auch in so eine bestimmte Denkweise Mentalität reinbringt?
Diane: Also ich glaube tatsächlich, dass die Ausbildung eine sehr, sehr große Rolle spielt. Ich glaube, dass viele Leute ins Jurastudium gehen, weil sie die Welt verändern wollen, was ein ganz, ganz positiver Ansatz ist. Ich mein, klar, gehen sicherlich auch welche rein und sagen, ja, ich will Anwalt in der Großkanzlei werden oder keine Ahnung, ich habe bestimmte Vorbilder und will Menschenrechte verteidigen oder was auch immer. Also da gibt es, ich glaube, es gibt ganz, ganz viele Vorbilder, die da auch draußen sind, wegen denen man das vielleicht macht. Und dass der Ansatz grundsätzlich nicht der ist, ich gehe jetzt rein und versprühe Konkurrenzkampf und mach Druck den anderen noch und freue mich drauf, dass mir großer Druck gemacht wird. Also ich glaube nicht, dass das so ein Mindset ist, mit dem man da reingeht. Und ich glaube tatsächlich, dass die Ausbildung in der Art und Weise, wie sie von Anfang an gestrickt ist, da eine sehr, sehr große Rolle spielt. Es ist einfach insgesamt der Druck ist sehr hoch, der Stoff ist dicht und enorm, also eigentlich unbezwingbar. Zumindest wird es so dargestellt von Anfang an.
Alisha: So fühlt es sich an, ja.
Diane: Und es gibt ja auch, also ich sag mal - jetzt als Psychologe kann ich das so sagen, das war ein ganz anderer Studiengang - wo auch, glaube ich, ganz anders herangegangen wird von den Studierenden. Aber bei den Juristinnen und Juristen ist es ja so, es gibt keinen Studiengang, in dem so viel Geld gemacht wird mit der Angst davor, dass man die Examen nicht schafft. Also ich kenne keinen Studiengang, wo so viele Leute zu Repetitorien gehen, weil sie Angst haben, sie schaffen es alleine nicht. Und dann zum Teil da sogar wieder noch scheckig gemacht werden und noch mehr Druck bekommen dadurch, dass ihnen vermittelt wird, wie groß der Stoff ist und was man ja noch alles irgendwie gelesen haben müsste und wie man es ja verstanden haben muss. Das ist sehr, sehr anspruchsvoll und wird auch natürlich so dargestellt - 'nur die Harten kommen in den Garten'. Also wenn man das schafft, muss man sich halt auch richtig durchbeißen und wer schwach ist, schafft es nicht.
Alisha: Und wenn man es dann geschafft hat, dann gehört man zu der Elite.
Diane: Genau, genau. Und eben dadurch, dass Schwäche natürlich da drin überhaupt nicht gut ankommt und das ist ein weiterer Punkt, wird natürlich wenig über Stress, Angst und Druck gesprochen und das macht es noch zusätzlich schwer. Also ich denke, wenn man darüber mehr sprechen würde, wenn die Leute sich auch mehr austauschen würden darüber, wie es ihnen damit geht, würde schon ein Stressfaktor verschwinden. Nämlich das Gefühl, damit allein zu sein.
Alisha: Ja, ich fühl mich total angesprochen. Ich denke mir rückblickend, auch wenn ich auf das Studium blicke oder auf alle Leute, die ich kenne, die da durchgegangen sind, es gibt kaum ein Studium, über das sich so viele Leute so einig sind, dass es reformiert werden müsste. Und dass es auch niemanden gibt - vielleicht so ein, zwei Professoren, die mit 15 Punkten selber aus dem Examen rausgegangen sind - aber sonst eigentlich niemanden, der sagt "ja, das war ein super Studium, das hat eigentlich Spaß gemacht". Also, die meisten, die ich kenne - ich persönlich kenne wirklich niemanden, der was anderes sagt - sagen halt "das war stressig. Das war einfach wirklich richtig, richtig stressig". Und ich kenne Leute, die halt nach 20 Jahren im Beruf sagen, sie träumen manchmal nachts noch vom Examen.
Diane: Die kenne ich auch, in der Tat. Die kenne ich auch. Also wirklich, die wenigsten blicken mit Freude auf ihr Studium zurück. Also das ist schon auch traurig . Und es ist wirklich, es ist ein insgesamt zusätzlicher Stressfaktor, weil ich in dem Moment, wo ich mich nicht wohlfühle, auch gar nicht so gut lernen kann.
Alisha: Du hast ja tatsächlich auch Stressmanagement als ein deiner Schwerpunkte. Kannst du da mal ein bisschen mehr zu erzählen? Also mal angefangen damit, was ist denn aus deiner Sicht Stress? Und was kann man da mit einem guten Stressmanagement vielleicht verbessern? Was ist überhaupt Stressmanagement?