Chancen als Jurist in der Justiz - Arbeitslage?

Verfasst von Annika Lintz. 

Ist die Justiz überlastet?

Wie ist es um die Karrierechancen als Jurist in der deutschen Justiz bestellt?

Wer sich für den Staatsdienst entscheidet, verzichtet auf die ganz großen Verdienstmöglichkeiten und erhält dafür Sicherheit und angenehme Arbeitsbedingungen. So sieht für viele Menschen die Abwägung aus. Wer aktuell jedoch eine Karriere als Richter oder Staatsanwalt anstrebt, sollte damit rechnen, zahlreiche Überstunden leisten zu müssen. Insbesondere in Ballungsgebieten ist dies momentan erforderlich. Manche Fälle werden trotzdem über Jahre nicht bearbeitet oder direkt eingestellt, Verfahren ziehen sich in die Länge. Ist die Justiz überlastet? Braucht der Staat mehr Personal? Und wie können junge Juristen unter diesen Umständen überhaupt für den Staatsdienst begeistert werden?

Gibt es eine Überlastung?

Mit Blick auf die Statistiken überrascht die Aussage, die Justiz sei überlastet. Die Zahl der angezeigten Straftaten ist laut Polizeilicher Kriminalstatistik in den letzten Jahren gesunken. 2007 wurden etwa 6.280.000 Straftaten erfasst, 2017 waren es rund 5.760.000. Über diese zehn Jahre ist somit ein Rückgang um mehr als acht Prozent zu verzeichnen. Auch die Zahl der Zivilverfahren hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich verringert. Ein starker Anstieg ist nur bei den Verwaltungsgerichten zu beobachten. Insgesamt ist ein klarer Trend hin zu sinkenden Prozesszahlen erkennbar.

Dennoch dauern manche Verfahren durchschnittlich länger als noch vor einigen Jahren. Nach Angaben des Bundesamtes für Justiz ist die durchschnittliche Verfahrensdauer in Zivilsachen zwischen 1995 und 2017 generell gestiegen. Ein erstinstanzlicher Prozess vor dem Landgericht beispielsweise dauerte 1995 im Schnitt 6,3 Monate. 2017 waren es 10 Monate. Dies ist ein Indiz für eine gestiegene Belastung der Justiz.
 

Was sind die Gründe?

Grund für die aktuelle Überlastung der Verwaltungsgerichte ist die große Zahl an Asylverfahren, die vor Gericht landen. Die Zahl der Straftaten und Zivilverfahren kann eine hohe Belastung in diesen Bereichen zwar nicht plausibel darlegen. Der Deutsche Richterbund erklärt aber, die Verfahren seien durch internationale Bezüge insgesamt komplexer geworden.

Vor allem im Strafrecht hätten es die Behörden immer häufiger mit international vernetzten Tätern und Tätergruppen zu tun. Die juristische Aufarbeitung einiger Straftaten sei dadurch zeitintensiver geworden. Insbesondere die Staatsanwaltschaften müssten immer größere Datenmengen auswerten.

Nachwuchsprobleme: Konkurrenz mit Großkanzleien und der Wirtschaft

Die Politik hat versucht, auf die aktuellen Probleme der Justiz zu reagieren und mehr Personal versprochen. Im Koalitionsvertrag wurde die Schaffung von 2.000 neuen Richterstellen vereinbart. Passiert ist allerdings bisher nichts, weil sich Bund und Länder noch nicht über die Finanzierung einigen konnten. Einige Bundesländer haben unabhängig davon in den letzten Jahren das Personal in der Justiz aufgestockt.

Die Suche nach geeigneten Bewerbern gestaltet sich jedoch zum Teil schwierig. Angesichts der anstehenden Pensionierungswelle wird der Staat auf zahlreiche Absolventen angewiesen sein. Bis 2030 werden nach Einschätzungen des Deutschen Richterbundes etwa 40 Prozent der Juristen in Deutschland aus dem Dienst ausscheiden. Für die Justiz bedeutet dies, dass mehr als 10.000 Richter und Staatsanwälte in den nächsten elf Jahren pensioniert werden. Diese Stellen müssen dann neu besetzt werden. 

Hier stellt sich jedoch das Problem, dass die Zahl der Jura-Absolventen mit zwei Staatsexamina seit Jahren sinkt. Weniger Menschen beginnen das Studium, die Abbruchquote steigt und immer mehr Absolventen entscheiden sich, ihre Ausbildung nach dem ersten Staatsexamen zu beenden und kein zweites zu machen. Der Staat hat entsprechende Schwierigkeiten, geeigneten Nachwuchs zu finden.

Nur die Besten sollen für die Justiz in Frage kommen. Nach Angaben des Deutschen Richterbundes gibt es jährlich zurzeit nur etwa 1.500 Absolventen mit einem Prädikat im zweiten Staatsexamen. Um die kämpfen aber auch Großkanzleien und andere Unternehmen. Insbesondere das von Kanzleien angebotene Gehalt ist deutlich höher als die Richterbesoldung. Der Staat kann angesichts der hohen Belastung der Justiz auch nicht mehr in gleichem Maße mit angenehmen Arbeitsbedingungen punkten wie noch vor einigen Jahren.

Deshalb müsste die Politik dafür sorgen, dass der Staat als Arbeitgeber nicht zu unattraktiv wird. Auch wenn sich ein Absolvent eine Karriere außerhalb der Wirtschaft vorstellen kann, bleibt immer noch die Konkurrenz der Justiz mit Verwaltung und Ministerien. Dort werden ebenfalls qualifizierte Juristen gesucht. 
 

Mögliche Konsequenzen einer überlasteten Justiz

Personalmangel in der Justiz kann zu zahlreichen Problemen führen. Wenn Verfahren über einen längeren Zeitraum nicht durchgeführt werden, kann dies vor allem im Bereich des Strafrechts drastische Konsequenzen haben. Nicht alle Straftaten können effektiv verfolgt werden, das könnte insbesondere kleinere „Bagatelldelikte“ betreffen. Schon die Nichtverfolgung dieser Straftaten kann das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz und in den Rechtsstaat gefährden.

Noch problematischer ist es, wenn Verdächtige wegen eines zu langen Verfahrens aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen, obwohl hinreichende Anhaltspunkte für eine schwere Straftat vorliegen.

Die Untersuchungshaft darf in der Regel maximal sechs Monate dauern, dann muss der Prozess beginnen. Ansonsten muss der Untersuchungshäftling wieder freigelassen werden. Auch in anderen Rechtsgebieten drohen Probleme. Wenn Bürger in Zivil- oder Verwaltungsverfahren lange auf ein Urteil warten müssen, kann dies für sie sehr frustrierend und belastend sein. 

Bis 2030 werden nach Einschätzungen des Deutschen Richterbundes etwa 40 Prozent der Juristen in Deutschland aus dem Dienst ausscheiden.

Die Zukunft: Immer geringere Anforderungen an die Bewerber?

Angehenden Juristen, die sich für das Richteramt oder eine Karriere in der Staatsanwaltschaft interessieren, kann der aktuelle Trend helfen. Wegen der Nachwuchsprobleme haben einige Bundesländer gezwungenermaßen die Einstellungsvoraussetzungen abgesenkt. Ein Prädikat in beiden Examina erwartet heute niemand mehr.

In Berlin beispielsweise genügen 7 Punkte im ersten Examen und 8 Punkte im zweiten. Rheinland-Pfalz und Niedersachsen setzen ebenfalls bei 8 Punkten im zweiten Examen an, allerdings handelt es sich dabei nur um einen Richtwert und nicht um ein Ausschlusskriterium. Mecklenburg-Vorpommern verfolgt einen ähnlichen Ansatz. Die Bewerber sollen hier mindestens 8 Punkte im zweiten Examen und mindestens befriedigend (6,5 Punkte) im ersten Examen vorweisen. Auch Bewerber mit 7 Punkten im zweiten Examen haben eine Chance, wenn sie ihre fachliche Qualifikation anderweitig belegen können. Die Anforderungen sind überall gesunken.

Angesichts des erhöhten Einstellungsbedarfs in den nächsten Jahren könnte sich diese Entwicklung fortsetzen. Um dem entgegenzuwirken, müsste der Staat sicherstellen, für die Absolventen ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Gehälter, die mit denen in Großkanzleien vergleichbar sind, wird der Staat nicht bezahlen können. Einige Bundesländer arbeiten jedoch daran, andere Rahmenbedingungen zu verbessern.

Durch den Ausbau von Teilzeitmodellen kann beispielsweise die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gestärkt werden. Auch ein moderneres Arbeitsumfeld wäre ein guter Ansatzpunkt. Eine ansprechende Ausgestaltung des Referendariats durch bessere Bezahlung und eine individuelle Betreuung könnte dafür sorgen, dass weniger Absolventen nach dem ersten Staatsexamen aufhören. So würde sich die Zahl der möglichen Kandidaten für das Richteramt oder die Staatsanwaltschaft erhöhen. 
 

Auch wenn die Verfahrenszahlen in den letzten Jahren gesunken sind, ist die Justiz heute schon stark belastet. Weitere Herausforderungen werden sich stellen. Angesichts der großen Zahl an Pensionierungen ist Nachwuchs dringend erforderlich, um eine völlige Überlastung zu verhindern. Der Staat wird werben müssen, damit sich genügend qualifizierte Absolventen für eine Karriere als Richter oder in der Staatsanwaltschaft entscheiden.

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