Erfahrungsbericht Secondment
Senior Associate
Als Senior Associate bei Lupp + Partner habe ich von Tag 1 bei internationalen Transaktionen mitgearbeitet. Anfang 2024 hat Lupp + Partner die Möglichkeit angeboten, bei der Kanzlei Barnes & Thornburg LLP ("Barnes") am Standort in Chicago ein Secondment zu machen. Da ich schon immer den Wunsch hatte, einmal im Leben im Ausland zu arbeiten, habe ich mich direkt auf das Programm beworben und glücklicherweise auch die Zusage bekommen.
Danach ging alles recht schnell: Barnes hat den Visumsprozess angestoßen und drei Monate später hielt ich auch schon das J1-Visum in den Händen. Danach habe ich Flüge gebucht und ein Apartment unweit der Kanzlei entfernt direkt im Loop (Downtown) von Chicago in einem Kondominium gemietet. Vorteil an diesen Kondominiums ist, dass diese meist ein Fitnessstudio und gemeinsame Aufenthaltsbereiche (co-working; (Dach)Terrasse; Pool und manchmal auch einen kleinen Bereich zum Anbauen von Kräutern und Gemüse) haben und so schnell Leute kennenlernt.
Mitte September flog ich dann los und reiste in die Vereinigten Staaten ein. Die ersten Tage hatte ich noch frei und erkundete erst die Stadt, bevor ich dann eine Woche später meinen ersten Arbeitstag antrat.
Meine neuen Kolleg:innen bei Barnes haben mich sehr herzlich empfangen. Wir sind zusammen Mittagessen gegangen und es kamen viele auch an meinem Büro vorbei, um sich vorzustellen. Was an Amerikaner:innen ja toll ist: Sie sind sehr aufgeschlossen und interessiert, wodurch man sehr leicht ins Gespräch kommt. Den Spruch "Americans are good in digging deep into the surface", der von meinem Onkel, der viele Jahre in den Staaten gelebt hat, stammt, habe ich nach meinen ersten Tagen in jedem Fall sehr gut nachvollziehen können.
Im weiteren Verlauf ist mir das gute Betriebsklima aufgefallen: Es besteht ein lockerer, respektvoller Umgang miteinander und flache Hierarchien. Zudem wurden regelmäßig Events gefeiert wie Thanksgiving, das indische Lichterfest Diwali, Halloween, Weihnachten und die verschiedenen internen Team-Feiern, bei denen regelmäßig auch Karaoke oder Dart-Turniere abgehalten wurden. Dort konnten alle zusammenkommen und sich nochmal besser kennenlernen. Für die Themen Vielfalt und Nachhaltigkeit gibt es bei Barnes verschiedene nationale und internationale Arbeitsgruppen und auch Trainings, die auf diese Themen im Alltag aufmerksam machen.
Inhaltlich hat sich die Arbeit in den Staaten gar nicht so sehr von der Arbeit in Deutschland unterschieden. Das führe ich insbesondere darauf zurück, dass das Transaktionsgeschäft für sich genommen recht international ausgerichtet ist und Arbeitsabläufe daher vergleichbar mit denen sind, wie ich sie aus der Arbeit bei Lupp + Partner in Deutschland kenne. Anders als in vielen deutschen Kanzleien ist aber die persönliche Anbindung an ein Team bzw. eine:n Partner:in oder mehrere Partner:innen nicht vorhanden, sondern alle Associates sind in einer Art Pool und jede:r Partner:in, egal an welchem Standort, kann auf Dich zugreifen. Ich kannte dieses Konzept bereits von Lupp + Partner, da wir es dort genauso handhaben. In anderen deutschen Kanzleien hatte ich die Erfahrung gemacht, dass, jede:r Associate in erster Linie für eine:n bestimmte:n Partner:in des eigenen Teams zuständig ist.
Da ich weder einen LLM in den Staaten gemacht habe oder sonst Kenntnisse im US-Gesellschaftsrecht vorweisen konnte, wurde ich zunächst im Transaktionsmanagement eingesetzt und habe viele Koordinationstätigkeiten übernommen. Dadurch, dass im amerikanischen Recht mehr mit Präzedenzfällen und weniger mit Kodizes gearbeitet wird, benötigt man einen gewissen Grundstock an Wissen zu den Präzedenzfällen, der mir über die Zeit von Kolleg:innen vermittelt wurde. Mit der Zeit konnte ich dann auch an Unternehmenskaufverträgen mitarbeiten. Was auffällig ist: die Arbeit mit Präzedenzfällen führt dazu, dass die Regelungen, die die Parteien in Verträgen treffen, viel umfangreicher sind, da versucht wird, alle möglichen Unwägbarkeiten abzudecken. Im gesellschaftsrechtlichen Bereich wird dies vor allem an dem riesigen Garantiekatalog in Unternehmenskaufverträgen relevant und sichtbar.
Es wird oft von der amerikanischen Hard-Working-Kultur gesprochen. Vor Abreise habe ich mich daher schon Nächte am Schreibtisch sitzen gesehen. Dieses Szenario hat sich zum Glück aber nicht realisiert. Ich habe zwar die Erfahrung gemacht, dass die Arbeit Mittelpunkt des eigenen und des sozialen Lebens der Amerikaner darstellt und sich die Amerikaner kaum lange Urlaub am Stück nehmen, gleichzeitig finden aber regelmäßig Ausflüge über (verlängerte) Wochenenden statt. Montags und freitags ist es im Büro daher üblicherweise etwas ruhiger. Auch habe ich nur selten noch nach 18 Uhr arbeiten müssen und im Büro Kolleg:innen angetroffen.
Was ich mir auf jeden Fall von der amerikanischen Arbeitsweise abschauen will, ist die Netzwerkkultur. Neben der Arbeit finden regelmäßig auch Networking-Events statt. Ich war erstaunt, wie schnell und einfach dort relevante Bekanntschaften geschlossen werden können und dann auch zeitnah miteinander gearbeitet wird. Das ist in Deutschland auf jeden Fall noch
ausbaufähig.
Insgesamt war es eine tolle und spannende Erfahrung, die ich jedem, der die Möglichkeit erhält, wärmstens empfehlen kann.