Frauenbewegung in Iran

WOMEN.LIFE.FREEDOM

ژن، ژیان، ئازادی (Jin, Jiyan, Azadî) sind die Worte, die man mit den derzeitigen Protesten und dem möglichen Anfang einer Revolution im Iran verbindet und oftmals hört. Wir von TalentRocket möchten unsere Plattform nutzen, um in unserer Community das Bewusstsein zu diesem Thema weiter aufrecht zu halten und den protestierenden Iraner*innen eine Stimme zu geben.

Im Folgenden geben wir einen kurzen Überblick über die Geschichte des Irans und die Hintergründe der aktuellen Proteste. Es handelt sich dabei um eine Aufbereitung seitens TalentRocket, in der wir relevante Ereignisse der Vergangenheit, die für das Verständnis der aktuellen Geschehnisse wichtig sind, darstellen. Die Informationssammlung basiert auf intensiven Recherchen, erhebt aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 

Wir hoffen, mit unseren Informationen vor allem eins zu tun: Aufmerksamkeit für ein Thema zu generieren, das uns von TalentRocket sehr nahe geht.

Geschichte des Iran im Überblick

Anfang 20. Jahrhundert

Der Iran wird von den Großmächten Großbritannien und Russland dominiert

1921

Erfolgreicher Putschversuch an der Kadschar Dynastie

Reza Chan (Oberst der Kosakenbrigade) führt den Putschversuch mit an. Der Grund dafür sind insbesondere die ungleichen Machtverhältnisse zwischen der Bevölkerung und den Oligarchen. Im selben Jahr ernennt er sich zum Kriegsminister.

1923

Reza Chan ernennt sich zum Premier

Er macht das Militär zu seiner Machtbasis, indem er die Streitkräfte reorganisiert und die Wehrpflicht einführt.

1925

Reza Chan lässt sich zum Schah krönen (Reza Schah Pahlavi)

Seine Ziele: 

  • Iran von einem agrarisch geprägten Land in eine Gesellschaft nach westlichem Vorbild umbauen.
  • Durchsetzung vielfältiger Reformen. Die Entwicklung der Industrie, Säkularisierung des Bildungswesens und die Sesshaftmachung der Nomaden

1936

Verschleierungsverbot für Frauen wird eingeführt

Für viele Iranerinnen war dieses Verbot ein Angriff auf ihre Werte und ihre Freiheit. Denn für sie gehört das Kopftuch zu ihrem Glauben und ist ein Teil ihrer Kultur.
Frauen und Mädchen wollten nicht unverschleiert das Haus zu verlassen, weil sie sich ohne ihre Kopfbedeckung entblößt fühlten.

1941

Reza Schah Pahlavi wird zur Abdankung gezwungen

Während des zweiten Weltrkieges marschierten britische und sowjetische Truppen in den Iran ein. In der Folge wird der Schah zur Abdankung gezwungen und sein Sohn Mohammend Reza Pahlavi wird Herrscher über den Iran.

ab 1941

Herrscherzeit von Mohammend Reza Pahlavi

Seine Ziele:

  • Landreform
  • Stärkung der Frauenrechte
  • Alphabetisierungskampagne
  • Maßnahmen, die den Einfluss der Geistlichkeit reduzieren

Anfang der 1950er Jahre

Die "Abadan Krise"

Es entstehen Konflikte um iranische Bodenschätze, ausgelöst durch die Verstaatlichung der Ölwirtschaft. Daraufhin wird der Iran von vielen Ölgeschäften boykottiert und gerät in finanzielle Not.

Der Schah Mohammed Reza Pahlavi flüchtet ins Exil.

1953

Rückkehr des Schahs Mohammed Reza Pahlavi aus dem Exil

1963

Ajatollah Chomeini ruft zum Widerstand auf

Chomeini schreibt und predigt gegen den Schah und seine Regierung, da deren Reformvorstellung (u.a. Landreform und Frauenwahlrecht) im Widerspruch zu den Vorstellungen der Geistlichkeit stehen. Seine Anhängerschaft wächst.

1964

Ajatollah Chomeini wird ins Exil geschickt

Währenddessen nimmt der islamische Extremismus und Fundamentalismus zu.

1978

Massenproteste gegen das Regime von Schah Mohammed Reza Pahlavi

Januar 1979

Flucht des Schahs aus dem Iran und die Rückkehr von Chomeini aus dem Exil

ab April 1979

Ende der Monarchie unter dem Schah

Machtübernahme der Islamisten unter Ajatollah Chomeini. Der Iran wird zur islamischen Republik.

Der Aufbau eines repressiven Systems im Iran beginnt:

  • Nach der neuen Verfassung müssen alle Gesetze mit islamischen Grundsätzen kompatibel sein
  • Pflicht des Tragens des Tschador (dunkles Tuch, das als Umhang um Kopf und Körper getragen wird)
  • Benachteiligung der Frau gegenüber dem Mann

1989

Tod Ajatollah Chomeini

Ali Chamenei wird neuer Revolutionsführer und Staatsoberhaupt.

Haschemie Rafsandschani wird zum Staatspräsidenten gewählt und gehört zum engsten Beraterkreis Chomeinis. Im Mittelpunkt von Rafsandschanis Politik stehen:

  • Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Industrie & Infrastruktur
  • Importe ins Land 
  • Modernisierungsprojekte

Rafsandschanis Regierung knüpfte teilweise an die Pläne des Schahs an. Auf die Hilfe des Parlaments konnte er nicht zählen. Die Bevölkerung verlor das Vertrauen an ihn. Die Wirtschaftsliberalisierung ging nicht vonstatten.

1997

Mohammed Chatami wird neuer Präsident (linksliberaler Geistlicher)

Er leitet eine Reform von Staat und Gesellschaft ein, die jedoch durch die iranische Machtelite gebremst wird. Die Umsetzung stagnierte schließlich.

Sein Ziel ist die Liberalisierung der Islamischen Republik im Rahmen ihrer Verfassung. Er will die Zivilgesellschaft stärken und sich für Frauenrechte und die Pressefreiheit einsetzen. Es bestehen demokratische Hoffnungen.

Die Beziehungen zu europäischen und arabischen Ländern verbessern sich, innenpolitisch kann er seine Versprechen allerdings nicht halten. Konservative Kräfte organisieren sich um Revolutionsführer Chamenei:

  • lassen Reformist*innen verhaften
  • verbieten viele Zeitungen
  • jedes 3. vom Parlament verabschiedete Gesetz scheitert am Veto des Wächterrats

1999

Studierende demonstrieren für die Pressefreiheit

Es kommt zu landesweiten Ausschreitungen, bei denen mehrere Menschen sterben. Chatami kommentiert die Ereignisse zunächst nicht, stellt sich nach massivem Druck aus Militär und dem Lager des Revolutionsführers jedoch hinter Chamenei. Frühere Anhänger*innen Chatamis sind desillusioniert, da er die direkte Konfrontation mit Chamenei nicht wagt.

2000 bis Anfang 2003

Weitere Einschränkungen der Pressefreiheit

Die Judikative lässt mehr als 90 reformistische Zeitungen schließen und eine große Anzahl an Kritiker*innen verhaften und unter fadenscheinigen politischen Anklagen verurteilen.

2004

Die Konservativen erlangen Mehrheit im Parlament

3.600 Reformist*innen werden nicht zu den Parlamentswahlen zugelassen, so dass (auch aufgrund eines Wahlboykotts der Reformist*innen) die Konservativen wieder die Mehrheit im Parlament erlangen.

2005

Mahmoud Ahmadinedschad wird neuer Regierungschef

Keinem der Reformer gelingt es, bei der Präsidentschaftswahl alte Wählerpotenziale zu aktivieren. Mahmoud Ahmadinedschad, ein fundamentalistischer Politiker, wird neuer Regierungschef.

Seine Position: Er leugnet den Holocaust und das Existenzrechts Israels und ist unnachgiebig im Atomkonflikt. Der Iran wird daraufhin weiter isoliert und erhält Sanktionen des UN Sicherheitsrates.

Während seiner Amtszeit wird die heutige Sittenpolizei eingeführt. Sie bringt allein in den ersten 9 Jahren ihres Bestehens 3 Millionen Frauen zur Anzeige.

2009

Massive Proteste nach den Präsidentschaftswahlen (“grüne Revolution”)

Der Hintergrund: Ahmadinedschad wird unerwartet deutlich als Präsident wiedergewählt. Der Vorwurf, Wahlergebnisse gefälscht zu haben, wird laut.

Die Bewegung hat dutzende Tote, viele Verletzte und eine Verhaftungswelle zur Folge, die nur darauf ausgelegt ist, Stimmen von Oppositionellen zu verstummen.

2013

Hassan Rouhani, der als gemäßigt gilt, wird zum Präsidenten gewählt

Die Wahl läutet einen radikalen außenpolitischen-diplomatischen Kurswechsel ein (begünstigt durch die Außenpolitik Obamas). Er vertritt einen lösungsorientierten, weltgewandten Pragmatismus.

  • Die Gespräche zwischen dem Iran & dem UN-Sicherheitsrat zeigen bald Fortschritte
  • Der gesellschaftliche Frust wächst dennoch; Irans Wirtschaft lahmt und die Arbeitslosigkeit wächst

2015

JCPOA: Joint Comprehensive Plan of Action (“internationales Atomabkommen”)

Der Iran verpflichtet sich für 15 Jahre zur Suspendierung inklusiver regelmäßiger Überwachung der potentiell militärisch nutzbaren Bestandteile seines Atomprogramms. Im Gegenzug werden Sanktionen aufgehoben. Es herrscht Euphorie im Iran und Europa, da sich Möglichkeiten wirtschaftlicher Zusammenarbeit im Zeichen der technologischen Modernisierung des Irans auftun.

2017/18

Proteste gegen Armut, Arbeitslosigkeit und die schlechte Versorgungslage

2018

US Präsident Donald Trump erklärt Austritt aus dem JCPOA

Sanktionen werden wieder eingesetzt und verschärft. Trumps Ziel ist die weitere wirtschaftliche Isolation der Islamischen Republik, bspw. durch den Stopp von Erdölexporten.

2019

Eine weitere Protestwelle wird ausgelöst

Die Ursachen:

  • steigende Lebensmittelpreise
  • unangekündigte Benzinpreiserhöhungen
  • ausbleibende Lohnzahlungen
  • kostspielige Unterstützung schiitischer Milizen im Ausland

 Bis zu 1500 Menschen sterben.

 

Weiterführende Informationen

Hintergründe zu den Protesten 2022

13.09.2022

Jina Mahsa Amini wird in Teheran von der Sittenpolizei festgenommen

Der Vorwurf: Sie trug ihr Kopftuch (Hidschab) nicht korrekt. Im Iran muss das Kopftuch das Haupthaar der Frau bedecken

16.09.2022

Masha Amini stirbt nach dem Aufenthalt auf der Polizeiwache in einer Klinik

Ihre Eltern veröffentlichen Bilder, die ihre Tochter mit sichtbaren Verletzungsspuren auf dem Krankenbett zeigen. Diese Bilder verbreiten sich schnell in den sozialen Netzwerken und lösen erste Proteste gegen die Polizeigewalt und den moralischen Vorstellungen der iranischen Staatsführung aus.

Laut den iranischen Behörden erlitt Amini einen Herzinfarkt an dessen Folgen sie starb. Marsha Aminis Familie streitet das ab und berichtet öffentlich von Folterung und Schlägen auf den Kopf. Auch Augenzeugen beobachteten Schläge durch die Polizei, als sie ins Polizeifahrzeug gebracht wurde.

Die Protestwelle dauert seit dem Todestag von Amini an.

Wer sind die Demonstrant*innen?
Es sind vor allem junge Menschen auf der Straße und die wesentlichen Teile der Bewegung werden von Frauen angeführt, die gegen die Unterdrückung durch das Regime protestieren. Frauen zeigen sich ohne Hidschab in der Öffentlichkeit, verbrennen ihr Kopftuch oder schneiden sich aus Protest die Haare ab. Das Regime versucht, die Proteste mit Gewalt zu unterdrücken.

 

Wie zeigt sich die Polizeigewalt?
Menschen werden willkürlich inhaftiert, gefoltert und getötet.

Schätzungen zufolge wurden bei den Protesten bereits 17.000 Menschen festgenommen, mehr als 2.000 Menschen angeklagt und über 420 Menschen getötet.

21.09.2022

Die iranische Regierung schaltet weite Teile des Internets ab

U.a. Whatsapp & Instagram sind seitdem gesperrt.

Oktober 2022

Die EU verhängt Sanktionen gegen die Sittenpolizei und die iranische Führung

November 2022

Mitte November wurden erste Todesurteile gegen Mitglieder der Proteste verhängt.

Der UN-Menschenrechtsrat stimmt mehrheitlich für eine Resolution gegen den Iran. Der Rat verlangt eine Untersuchung gegen Menschenrechtsverletzungen gegenüber der iranischen Bevölkerung.

Dezember 2022

Die iranische Generalstaatsanwaltschaft kündigt die Auflösung der Sittenpolizei an

Die Ankündigung löst bei iranischen Aktivistinnen und im Ausland jedoch Skepsis darüber aus, ob sich die Situation für Frauen tatsächlich verbessern wird.