Anwältin in ihrer Kanzlei

Veröffentlicht am 06.05.2025

Lateral Entry als Jurist:in - Wie der Quereinstieg gelingt

Zwischen Stillstand und Aufbruch: Warum erfahrene Jurist:innen über einen Wechsel nachdenken sollten

Karriereentscheidungen verlaufen selten geradlinig. Auch für Jurist:innen mit zehn, zwanzig oder mehr Jahren Berufserfahrung stellt sich irgendwann die Frage: Bleibe ich, wo ich bin, oder wage ich den Schritt in ein neues Umfeld mit neuen Herausforderungen und Chancen?

 

Der Quereinstieg für Jurist:innen, auch bekannt als Lateral Entry, ist für viele nicht nur ein Wechsel des Arbeitgebers, sondern ein bewusster Karriereschritt. Oft geht es dabei um mehr als nur bessere Konditionen. Gründe können unter anderem die steigende, berufliche (aber auch persönliche) Anerkennung, Entwicklungsperspektiven, Leadership-Chancen und das Gefühl sein, mit den eigenen Kompetenzen am richtigen Ort angekommen zu sein.

Viele Großkanzleien verzeichnen in den letzten Jahren hohe Fluktuationen, gerade im mittleren Senioritätsbereich. Nicht selten hadern erfahrene Jurist:innen mit in die Jahre gekommenen Strukturen, fehlender Aufstiegsperspektive oder einem Kanzleialltag, der nicht mehr zu ihrer Lebensrealität und der modernen Vorstellung von Work-Life-Balance passt. Die wachsende Offenheit vieler Kanzleien für Laterals bietet heutzutage mehr Möglichkeiten denn je, gezielt neue Rollen einzunehmen, etwa als Verstärkung eines bestehenden Teams oder als Team-Leader einer neuen Abteilung.

Nicht zu vergessen ist, dass sich die Bedürfnisse von Jurist:innen mit der Zeit verändern. Die klassische Karriere bis zum Equity-Partnerstatus in einer Großkanzlei ist für Viele nicht mehr der einzige Maßstab. Aspekte wie Arbeitszeitmodelle, flexible Teilzeitstrukturen oder die Möglichkeit, fachliche Schwerpunkte neu zu setzen, sind inzwischen oft ausschlaggebender als der reine Aufstieg in traditionellen Hierarchiestrukturen. Viele Arbeitgeber reagieren darauf und versuchen, erfahrenen Rechtsanwält:innen ein attraktives Gesamtpaket anzubieten.

Ein Quereinstieg für Juristen kann deshalb nicht nur neue fachliche Reize setzen, sondern die gesamte berufliche Weichenstellung verändern. Wer heute wechselt, tut das selten leichtfertig. Vielmehr liegt dem oft ein langer Prozess der Selbstreflexion zugrunde. Doch wer den Wechsel wagt, gewinnt am Ende oft mehr als "nur" einen neuen Job mit neuem Kollegium und Umfeld.

Was versteht man überhaupt unter "Lateral Hiring"?

Im Kanzleikontext beschreibt der Begriff Lateral Hiring (bekannt als Quereinsteiger-Rekrutierung) das gezielte Einstellen und Abwerben erfahrener Rechtsanwält:innen, die bereits bei einer anderen Kanzlei tätig sind. Diese sogenannten Laterals bringen spezialisierte Expertise, oftmals bedingt durch langjährige Berufserfahrung, und in vielen Fällen auch einen bestehenden Mandantenstamm mit. Insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels ist diese Form der Personalgewinnung für viele Kanzleien von wichtiger, strategischer Bedeutung. Im Folgenden zeigen wir Dir, wieso dies der Fall ist und welche Arten von Laterals es gibt:
 

Typische Laterals-Varianten:

Laterals kann es auf jeder Berufsstufe bzw. jedem beruflichen Rank geben. Die 3 relevantesten Kategorien sind:

  • Lateral Partner: Ein:e etablierte:r Partner:in wechselt samt eigenem Mandantenstamm zu einer anderen Kanzlei. Dies geschieht häufig, um dort einen strategischen Bereich auszubauen oder neu zu etablieren.
  • Lateral Counsel oder Senior Associate: Jurist:innen auf hoher Erfahrungsstufe, die mit der Perspektive auf Partnerschaft oder inhaltliche Leitungsverantwortung wechseln. Bei ihrem neuen Arbeitgeber werden sie dann auf Counsel- oder Senior Associate-Level eingestellt.
  • Lateral Associate: Associates mit fundierter Berufserfahrung, die aufgrund besserer Entwicklungschancen das Haus wechseln. Diese Variante ist weniger verbreitet, aber ebenfalls denkbar und möglich.
     

Im Gegensatz zu klassischen Karriereschritten, bei denen man sich intern "hocharbeitet", steigen Laterals meist auf Augenhöhe ein. Sie verhandeln eigenständige Rollen, Honorarmodelle und Zuständigkeiten. Gerade Großkanzleien nutzen diese Strategie gezielt, um sich in stark nachgefragten Rechtsgebieten zu verstärken oder neue Mandate zu erschließen. Welche Fachrichtungen dabei besonders im Fokus stehen, lässt sich anhand aktueller Entwicklungen im juristischen Stellenmarkt erkennen.

Zudem zeigt sich, dass der Lateral Entry für viele Kanzleien auch ein Mittel ist, sich mittels externem Know-how fortzubilden und partiell zu erneuern. Wer Expertise von außen einkauft, gewinnt neue Perspektiven, etwa bei der zunehmend wichtigen Digitalisierung, dem Business Development oder der Internationalisierung von Mandaten.
 

Warum Lateral Hiring gerade jetzt boomt

Der deutsche Rechtsmarkt befindet sich im Umbruch. Die Zahl der Rechtsanwält:innen mit Einzelzulassung ist nach jüngster Statistik (2025) erneut gesunken. Währenddessen sind gleichzeitig mehr Berufsausübungsgesellschaften (u.a. anwaltliche PartGmbB oder GmbH & Co. KG) registriert worden. Immer mehr Jurist:innen verlassen den anfangs gewählten und hart erlernten Beruf vorzeitig. Besonders auffällig ist dabei die Zahl derer, die vor dem 40. Lebensjahr ihre Zulassung zurückgeben. Diese ist innerhalb von 20 Jahren um mehr als 50 % gestiegen. Laut Bundesrechtsanwaltskammer sind derzeit rund 167.000 Personen zur Anwaltschaft zugelassen – davon über 62.000 weibliche Rechtsanwältinnen. Doch vor allem junge Jurist:innen verlassen die klassische Anwaltskarriere häufig schon nach wenigen Jahren. Die Gründe reichen von unattraktiven Arbeitszeiten über mangelnde Aufstiegschancen bis hin zur Konkurrenz durch Justiz und Verwaltung, die geregeltere Arbeitsbedingungen versprechen. Darin zeigt sich auch die wachsende Bedeutung von Karriere und Familie, statt sich zwischen den beiden Optionen entscheiden zu müssen.

Kanzleien sehen sich mittlerweile gezwungen, auf diese Entwicklungen zu reagieren. Die gezielte Gewinnung erfahrener Rechtsanwält:innen aus anderen Kanzleien, also sogenannte Lateral Hires, ist eine Antwort auf den Mangel an gut qualifiziertem Nachwuchs. Hieran mangelt es auf dem juristischen Arbeitsmarkt auch nicht, denn insgesamt zeigen die Zahlen, dass es 2025 mehr zugelassene Rechtsanwält:innen gibt als je zuvor seit Aufzeichnungsbeginn. Vor 20 Jahren waren es beispielsweise mit knapp 75.000 zugelassenen Rechtsanwält:innen noch etwas mehr als die Hälfte.

Neben der Abwerbung von hochqualifizierten und spezialisierten Einzelpersonen lassen sich gleichzeitig auch gezielte Teamwechsel immer häufiger beobachten. Die Rekrutierung kleiner Einheiten, etwa eines eingespielten Arbeitsrechtsteams oder eines M&A-Kernteams, erlaubt es Kanzleien, sich auf einen Schlag neu aufzustellen.

Best-Practice-Beispiele wie der Wechsel eines renommierten Arbeitsrechtsteams zu Luther1 oder der Aufbau eines neuen M&A-Teams bei Noerr durch Übernahme aus einer anderen renommierten Großkanzlei2 zeigen, dass Lateral Hiring kein Randphänomen mehr ist, sondern vielmehr ein fester Bestandteil moderner Personalstrategie.
 

1 Luther Lawfirm, 2021
2 Juve.de, 2020

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Vorteile für erfahrene Jurist:innen beim Quereinstieg

Ein Lateral Entry bietet erfahrenen Jurist:innen die Möglichkeit, ihre Karriere gezielt und selbstbestimmt neu auszurichten. Und das mit Vorteilen, die in klassischen Kanzleikarrieren nicht immer geboten werden:

  • Partnerschaftsperspektive: Viele Wechsel erfolgen mit klarer Zielvereinbarung auf eine Partnerschaft innerhalb eines absehbaren Zeitraums. Dies ist für die meisten Wechselnden eine wesentliche Grundvoraussetzung, zumal der Wechsel auch mit erheblichen Aufwänden und Neuerungen verbunden ist.
  • Höhere Vergütung und bessere wirtschaftliche Bedingungen: Wer einen bestehenden Mandantenstamm mitbringt und/oder gezielt ein neues strategisches Feld aufbaut, wird dafür entsprechend vergütet.
  • Mehr Einfluss: Laterals bringen nicht nur juristische Expertise, sondern oft auch Mandate und Marktkenntnis mit, was ihnen häufig eine starke Position innerhalb der neuen Kanzlei verschafft. Dadurch können sie mehr Mitspracherecht bei strategischen Entscheidungen ihres Fachbereichs erhalten, etwa zur Ausrichtung, Teamstruktur oder Mandatsakquise.
  • Flexible Arbeitsmodelle: Sollte dies im alten und gewohnten Arbeitsumfeld aufgrund veralteter Verträge oder Strukturen noch kein fester Bestandteil sein, stellen hybrides Arbeiten oder individuelle Stundenmodelle heute einen wichtigen Teil vieler neuer Jobangebote dar. Dies erfolgt nicht zuletzt, um besondere Anreize für den Wechsel des Abzuwerbenden zu schaffen.

Darüber hinaus kann ein Wechsel neue intrinsische Motivation schaffen. Wer jahrelang in denselben Strukturen gearbeitet hat, gewinnt durch einen Tapetenwechsel neue Energie, andere Perspektiven und in einigen Fällen sogar (wieder) mehr Freude am Beruf. Auch fachlich können Laterals wachsen: durch neue Mandate, andere Mandantenstrukturen oder ein internationales Umfeld.

Besonders attraktiv sind diese Optionen für Jurist:innen, die unternehmerisch denken, Verantwortung übernehmen wollen und in ihrem bisherigen Umfeld gegen unsichtbare Decken stoßen. Auch Diplom Jurist:innen im Quereinstieg finden heute gezieltere Angebote, insbesondere in Inhouse-Rollen oder bei spezialisierten Kanzleien.

Wichtig ist stets nur, dass der Wechsel zu den eigenen beruflichen und privaten Zielen passt. Entsprechend lohnt es sich, vorab eine fundierte Selbstanalyse durchzuführen

Die Herausforderungen des Wechsels: Worauf Du achten solltest

Trotz aller Chancen birgt ein Wechsel auch Risiken. Die größten Herausforderungen im Rahmen eines Quereinstiegs im Jura-Kontext liegen in der Integration, der Erwartungshaltung und den juristisch-formalen Rahmenbedingungen.

Eine der größten Herausforderungen beim Quereinstieg ist die kulturelle Integration in die neue Kanzleistruktur. Nicht jede Kanzlei lebt die Werte und Arbeitsweisen, die sie nach außen kommuniziert. Daher sind offene Gespräche über Erwartungen, Führungsstile und Teamstrukturen im Vorfeld unverzichtbar.

Auch die Frage der Mandantenbindung sollte frühzeitig geklärt werden: Wer wechselt, muss wissen, ob und in welchem Umfang Mandate - rechtlich und praktisch betrachtet - mitgenommen werden dürfen. Hinzu kommen mögliche vertragliche Hürden wie Wettbewerbsverbote oder Verschwiegenheitsklauseln aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis, die den Einstieg erschweren oder verzögern können. Schließlich ist auch der Leistungsdruck nicht zu unterschätzen: Neue Laterals stehen von Beginn an unter genauer Beobachtung (nicht zuletzt, weil die Kanzlei viel investiert hat, um sie abzuwerben), und nicht selten wird ihr Erfolg bereits nach wenigen Monaten streng bewertet.

Neben den genannten Herausforderungen verfügen zudem nicht alle Kanzleien über strukturierte Onboarding-Prozesse für Laterals. Das kann zu Frustration (auf beiden Seiten) und im schlimmsten Fall zu dem Wunsch nach einem erneuten Wechsel führen. Auch interne Widerstände, etwa von Kolleg:innen, die den Neuzugang als Bedrohung empfinden, sollten nicht unterschätzt werden.

Aus diesen Gründen ist gute Vorbereitung das A und O. Ein realistisches Bild vom Zielmarkt, eine klare Strategie für die ersten Monate und professionelle Begleitung machen hier den entscheidenden Unterschied.

Wie Du den Lateral Entry strategisch vorbereitest

Ein Lateral Entry ist kein Sprung ins kalte Wasser, sondern ein strategischer Prozess. Die wichtigsten Fragen, die Du Dir im Vorfeld stellen solltest:

  • Was ist mein USP („Unique Selling Point“) im Markt?
  • Welche Mandate, Erfahrungen oder Netzwerke bringe ich mit?
  • Welche Rolle will ich übernehmen – Partner:in, Teamlead, Spezialist:in?
  • Wie möchte ich arbeiten – inhaltlich, strukturell und kulturell?

Nimm Dir Zeit für eine fundierte Marktanalyse. Informiere dich neben Stellenanzeigen und Arbeitgeberprofilen auch über Rahmenbedingungen wie aktuelle Stundensätze. Ebenfalls wichtig ist die Klärung im Vorfeld, ob Du Mandate mitnehmen darfst und willst. Prüfe bestehende Verträge auf Wettbewerbsverbote und bereite Dich auf Fragen zu Deinem Wechselgrund vor, die gerade auf Partnerebene oft entscheidend sein können.
 

Fazit: Neue Wege für erfahrene Jurist:innen

Der Quereinstieg für Jurist:innen ist längst kein Ausnahmefall mehr. Wer den Wechsel wagt, tut dies aus Überzeugung und mit einem klaren Ziel: mehr Verantwortung, bessere Arbeitsbedingungen, mehr Einfluss.

Lateral Hiring ist daher mehr als ein kurzfristiger Trend. Es ist Ausdruck eines neuen juristischen Arbeitsmarkts, in dem individuelle Wege und passgenaue Rollen wichtiger sind als starre Karrieremodelle. Ob Du in einem bestehenden Team aufblühst, eine neue Praxisgruppe aufbaust oder als Brückenbauer:in zwischen Kanzlei und Mandant:in fungierst, entscheidend ist, dass Dein Wechsel nicht nur ein Schritt weg von Etwas ist, sondern ein Schritt hin zu Etwas.
 

Wenn Du das Gefühl hast, Dein aktueller Arbeitsplatz passt nicht mehr zu Deinen Zielen: Jetzt ist die Zeit, Dich umzusehen. Informiere dich, analysiere den Markt, sprich mit anderen und beweise Mut zum Wechsel!