Fachkräftemangel Justiz: Was kommt auf uns zu?

Status Quo und Zukunftsaussichten im Überblick

Es gibt zu wenige Jurist:innen in Deutschland – und das wird sich auch in Zukunft nicht bessern, wenn man einen Blick auf die Statistiken wirft. Was also tun? Darauf hoffen, dass sich das Problem irgendwie von allein löst? Dass dies mittlerweile keine Option mehr ist, sollte jedem klar sein. Wir haben uns die aktuellen Zahlen zum Fachkräftemangel in der Justiz in Deutschland angesehen und stellen Ansätze und Maßnahmen vor, welche der aktuellen Entwicklung entgegenwirken sollen.
 

Die aktuelle Lage: Zahlen zum Fachkräftemangel

Warum sich die Beschäftigungszahlen bei den deutschen Richter:innen und Staatsanwält:innen so negativ entwickeln, hat zwei einleuchtende Gründe: Einerseits gehen viele Jurist:innen in Rente oder sind zumindest wenige Jahre vor dem Ruhestand. Andererseits kommen zu wenige junge Jurist:innen nach. Folgende Zahlen fassen das Problem anschaulich zusammen:

2001 absolvierten rund 10.000 Jurist:innen das Zweite Staatsexamen und erlangten damit die Befähigung zum Richteramt. 2017 waren es nur noch rund 7.500. Das ist ein Rückgang von 25 %.
Eine Studie des Deutschen Richterbunds stellte schon 2016 fest: Bis 2030 werden in Deutschland rund 10.000 Richter:innen und Staatsanwält:innen in den Ruhestand gehen, das entspricht einem Anteil von 41 %.

Die aktuellen Voraussetzungen der Bundesländer 
 

Bundesland Anforderungen
Baden-Württemberg In der Regel mindestens 8 Punkte in beiden Examen
Bayern Mindestens 8 Punkte im Zweiten Examen (Bewerbung bereits möglich, wenn das schriftliche Ergebnis über 8 Punkte beträgt)
Berlin Erstes Examen mindestens 7,0 Punkte, Zweites Examen mindestens 8,0 Punkte
Brandenburg Mindestens 8 Punkte im Zweiten Examen und besondere persönliche Eigenschaften (Leistungen im Studium/Referendariat; Note 1. Examen) Ist das 2. Examen mit Prädikat abgeschlossen, erfolgt eine Einladung zum Einstellungsverfahren
Bremen Beide Staatsexamina mit einem Prädikat oder bei zusätzlicher Qualifikation (z.B. Berufserfahrung, Promotion, Auslandserfahrung o. ä.) wenigstens das Zweite Staatsexamen mit 8 Punkten und das Erste Staatsexamen mit der Note "befriedigend".
Hamburg Zwei Examina mit "vollbefriedigend" und überdurchschnittliche Leistungen im Referendariat oder in einem Examen ein "vollbefriedigend" und in dem anderen ein "befriedigend" mit mindestens 8 Punkten und besondere fachliche oder persönliche Qualifikationen.
Hessen 15 Punkte aus beiden Examen. Im 2. Staatsexamen sind dabei 7,5 Punkte („befriedigend") nach zuvor 8 Punkten („befriedigend") erforderlich. Bei besonderen Umständen, zum Beispiel beruflicher Vorerfahrung, können ausnahmsweise auch 7 Punkte („befriedigend") im 2. Staatsexamen genügen.
Mecklenburg-Vorpommern Die Zweite juristische Staatsprüfung soll in der Regel mit mindestens 8,0 Punkten und die Erste juristische Staatsprüfung mindestens mit der Note befriedigend abgeschlossen sein. Bewerber, die die Zweite juristische Staatsprüfung mit mindestens 7,0 Punkten abgelegt haben, können eingeladen werden, wenn ihre besondere fachliche Qualifikation anderweitig belegt ist, etwa durch herausragende Leistungen in der Ersten juristischen Staatsprüfung oder im Vorbereitungsdienst oder durch sonstige Zusatzqualifikationen
Niedersachsen Die offizielle Mindestnote für die Bewerbung liegt aktuell bei 8 Punkten im zweiten Examen (bei schwerbehinderten Bewerbern 7 Punkte). Im Ersten Examen ist ein Prädikat mit min. 9 Punkten laut OLG Celle "wünschenswert", aber nicht zwingend erforderlich
Nordrhein-Westfalen Prädikatsexamen mit mindestens 9,0 Punkten im Zweiten Staatsexamen oder mindestens 7,76 Punkte im zweiten Staatsexamen UND besondere persönliche Eigenschaften (z. B. besonders gute Noten in Abitur, Studium oderim Ersten Staatsexamen oder andere für das Richteramt relevante persönliche Fähigkeiten und Leistungen)
Rheinland-Pfalz Mindestens 8 Punkte im Zweiten Staatsexamen (Bewerbung bereits möglich, wenn das schriftliche Ergebnis über 8 Punkte beträgt)
Saarland Beide Staatsexamina müssen mit einer Prüfungsgesamtnote von mindestens je 7,5 Punkten bestanden sein oder im Zweiten Staatsexamen wurde eine Prüfungsnote von mindestens 9,0 Punkten erreicht
Sachsen-Anhalt In beiden Staazsexamina mindestens die Gesamtnote "befriedigend" und in der Summe beider Prüfungen mindestens 16 Punkte
Sachsen Die Bewerberinnen und Bewerber müssen in der Regel in der Zweiten Juristischen (Staats-)Prüfung mindestens 7 Punkte und in der Summe beider Examina mindestens 14 Punkte erzielt haben.
Schleswig-Holstein Zwei mit Prädikat (mindestens 9 Punkte) abgeschlossene Staatsexamina sowie überdurchschnittliche Leistungen im Referendariat
Thüringen In der Summe beider Examina mindestens 15 Punkte; Erstes und zweites Examen mindestens mit „befriedigend" abgeschlossen

Lösungsansätze für den Fachkräftemangel in der Justiz

Dass die Justiz ein Nachwuchsproblem hat, ist offensichtlich nicht erst seit gestern bekannt. Und auch die Auswirkungen könnten sich schon sehr bald zeigen, zum Beispiel darin, dass dringliche Verfahren aufgrund von Personalmangels einfach nicht mehr schnell genug bearbeitet werden können. Ein funktionierendes Justizsystem ist jedoch für einen funktionierenden Rechtsstaat von größter Wichtigkeit.

Forderungen, das Personalproblem in der Justiz zu lösen, gibt es deshalb zur Genüge. Im Mittelpunkt steht dabei, die Arbeit im öffentlichen Dienst attraktiver zu machen und damit mehr Nachwuchs für die Justiz zu begeistern. Um dies zu ermöglichen, kann hauptsächlich an zwei Stellschrauben gedreht werden:

1. Eine Erhöhung des Gehalts für Richter:innen und Staatsanwält:innen

Der öffentliche Dienst steht in direkter Konkurrenz zu anderen juristischen Arbeitgebern – allen voran Kanzleien. Das sind keine guten Nachrichten, wenn man bedenkt, dass diese sich in ihren Gehältern gegenseitig überbieten, um ihrerseits Nachwuchstalente für sich zu gewinnen. Einstiegsgehälter in Großkanzleien können dabei schon einmal im sechsstelligen Bereich liegen.

Mit diesen Dimensionen kann der Staat nicht mithalten, stattdessen versucht er, mit humaneren Arbeitszeiten und anderen Annehmlichkeiten des Beamtendaseins zu werben – nicht ganz erfolglos. Auch die Besoldung von Staatsdiener:innen ändert sich über die Jahre, wenn auch nicht in den Größenordnungen, in denen Großkanzleien sich bewegen.

Ein Blick in die Besoldungstabelle des Bundes für die Besoldungsgruppe R zeigt, in welchen Dimensionen sich die Bezüge für Richter:innen und Staatsanwält:innen über die letzten Jahre veränderten. In der niedrigsten Besoldungsgruppe R2 beginnt das Monatsgehalt 2022 bei 5.580 €, möglich sind Bezüge bis zu 8.110 € in der höchsten Stufe. In die Gruppe R2 fallen zum Beispiel Staatsanwält:innen beim Bundesgerichtshof oder Richter:innen am Bundespatentgericht. In der höchsten Stufe R10 (also die Stufe, in die Präsident:innen der Gerichte sowie Richter:innen des Bundesverfassungsgerichts fallen) liegt die Besoldung bei 15.074 € im Monat.

Zum Vergleich schauen wir fünf Jahre zurück: 2017 starteten Beamt:innen in der Besoldungsgruppe R2 noch mit 5.048 € im Monat, in R10 waren es 13.801 €. Eine Tendenz nach oben ist also klar zu erkennen – große Sprünge wurden aber beim Gehalt in den letzten Jahren nicht gemacht und sind wohl auch in Zukunft nicht zu erwarten.
 

Die aktuellen Gehälter in der Justiz

2. Die Modernisierung der Justiz

Veraltete Technik, wenig Innovation und langwierige Prozesse: Das alles sind Vorurteile, gegen die die Justiz ankommen muss, um junge Menschen von sich zu überzeugen. Teilweise haben diese Vorurteile durchaus ihre Begründung.

Mit einigen Maßnahmen soll die Gerichtsbarkeit nun moderner werden. Dazu gehört allen voran der Einsatz von Legal Tech, bei welchem Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern hinterher hängt. Das zeigt zum Beispiel die Studie „The Future of Digital Justice“: Sie bescheinigt Deutschland eine „unzureichende Hardware- und Software-Infrastruktur, Budgetprobleme, eine hinderliche Mentalität und die Angst vor persönlichen Nachteilen bei den Beteiligten“. Deutschland liege etwa 10 bis 15 Jahre hinter führenden Ländern, was die Digitalisierung der Justiz angeht.

Es gibt aber auch Grund zur Hoffnung. So sieht die Studie einen Fortschritt in Deutschland während der Coronapandemie und hebt die vielen einzelnen Projekte hervor, die in unterschiedlichen Ämtern umgesetzt werden.

🎙 Digitalisierung in der Justiz: Richterin Sina Dörr im TalentRocket-Podcast New Lawyers

Sina Dörr ist Richterin am Landgericht im Bezirk des Oberlandesgerichts Köln und derzeit abgeordnet im Bundesjustizministerium, wo sie als Teil der Projektgruppe Legal Tech als zivilgesellschaftliche Expertin für Digitalisierungsfragen in der Justiz gilt. Was ihrer Meinung nach heutzutage am meisten unterschätzt wird: konstruktiv kritisches Denken und das Hinterfragen der eigenen Einstellung. Dieses Mindset spiegelt sich auch in dieser Folge des New Lawyers Podcast mit Moderatorin Alisha Andert wider, in dem eine spannende Unterhaltung zum Thema Digitalisierung in der Justiz entsteht und unter anderem die Frage beantwortet wird, warum das mit der Digitalisierung denn alles so lange dauert.

 

Der „Pakt für den Rechtsstaat“: Wie erfolgreich war der Plan der letzten Regierung?

Bereits die letzte Regierung wollte verstärkt in die Justiz investieren und den Rechtsstaat stärken. Um dieses Ziel zu erreichen, trat Anfang 2019 der sogenannte Pakt für den Rechtsstaat in Kraft. Dieser hat seine Ziele weitestgehend erreicht oder gar übertroffen. So wurden in der Justiz zum Beispiel rund 2.700 neue Stellen geschaffen und zusätzlich rund 2.500 neu besetzt – weit mehr als die geplanten 2.000 neuen Stellen. Zusätzlich konnten 3.800 Personalstellen im nicht-richterlichen und nicht-staatsanwaltlichen Bereich geschaffen werden, von denen nicht alle besetzt sind.

Auch die Vereinfachung und damit die Beschleunigung von Gerichtsverfahren durch Änderungen an der Prozessordnung beurteilt das Bundesministerium der Justiz als positiv. So können Verfahren effizienter durchgeführt werden. Über eine Verschlankung der Prozesse dürften sich auch Nachwuchsjurist:innen freuen.

Die Pläne der Ampel für die Justiz

Unter dem Motto „Mehr Fortschritt wagen“ hat die Ampelkoalition bestehend aus SPD, den Grünen und der FDP einen Koalitionsvertrag vereinbart, in welchem auch das Justizsystem zur Sprache kommt. Teil davon ist der sogenannte Digitalpakt: Die Ampel möchte Gerichtsverfahren effizienter und schneller machen und hat dafür einige Ideen vorgebracht. Unter anderem soll es möglich sein, Verhandlungen online zu führen, die Beweisaufnahmen sollen audio-visuell dokumentiert werden und es sollen mehr spezialisierte Spruchkörper eingesetzt werden (also Richter:innen, Kammern und Senate). Ebenfalls wird im Koalitionsvertrag das Ziel vermerkt, dass Kleinforderungen „in bürgerfreundlichen digitalen Verfahren einfacher gerichtlich durchgesetzt werden können“. Daneben soll der kollektive Rechtsschutz eine Stärkung erfahren.

Für Bundesjustizminister Marco Buschmann steht die Digitalisierung ebenfalls im Vordergrund. „Die Digitalisierung von Justiz und Rechtsstaat hat für mich eine hohe Priorität. Ein wesentlicher Aspekt ist es dabei, dass wir Online-Gründungen von Gesellschaften auch in Deutschland ermöglichen“, sagt er. Seit dem 1. August 2022 ist die Online-GmbH-Gründung nun möglich, die ersten Gesellschaften sind bereits auf diesem Weg entstanden – ein wichtiger Schritt für die Digitalisierung der Justiz.

Ob die geplanten Veränderungen ausreichen, um die Justiz nachhaltig zu digitalisieren und damit auch attraktiver für junge Jurist:innen zu machen, bleibt abzuwarten. Denn auch hier ist die Konkurrenz stark: Obwohl viele deutsche Kanzleien beim Thema Legal Tech als recht zurückhaltend gelten, gibt es doch viele spannende Projekte in der freien Wirtschaft.

Kritik an den Plänen der neuen Regierung gibt es bereits, zum Beispiel vom hessischen Justizminister Roman Poseck. Ihm kommen die Investitionen in das Personal der Justiz zu kurz: „Eine Verstetigung des ‚Paktes für den Rechtsstaat‘ der vergangenen Legislaturperiode, der erhebliche Mittel für Personal in den Ländern vorsah, ist offensichtlich kein Thema mehr für den Bundesjustizminister. Das ist sehr enttäuschend. Denn gerade im Personalbereich tragen die Länder derzeit eine sehr hohe Belastung“, kommentiert er.
 

Projekte gegen den Fachkräftemangel in der Justiz

Die Justiz nimmt den Fachkräftemangel ernst – und die Länder reagieren mit ihren eigenen Maßnahmen auf die Entwicklungen. So zum Beispiel in Hessen. Im September 2022 wurde dort beschlossen, dass sich die Einstellungskriterien für Richter:innen und Staatsanwält:innen ändern sollen. Statt 16 Punkten in beiden Staatsexamen sollen nun 15 Punkte ausreichend sein. Im Zweiten Staatsexamen werden jetzt auch 7,5 und bei relevanter Berufserfahrung sogar 7 anstatt der bisherigen 8 Punkte akzeptiert. Die Hessische Justiz erhofft sich so mehr Bewerber:innen, um dem steigenden Personalbedarf gerecht zu werden.

Eine zweite Maßnahme soll die hessische Justiz zusätzlich zu einem begehrteren Arbeitgeber machen: Mithilfe der sogenannten Assessor-Brücke will das Land guten Kandidat:innen den Einstieg in den öffentlichen Dienst erleichtern. Anstatt auf den Richterwahlausschuss zu warten, der nur viermal in Jahr tagt, suchen sich viele potenzielle Bewerber:innen lieber einen Job in der freien Wirtschaft, wo die Einstellung deutlich schneller möglich ist. Damit soll jetzt Schluss sein und die Assessor:innen erhalten zum Übergang bis zur Ernennung ins Richterverhältnis auf Probe einen befristeten Arbeitsvertrag. In dieser Zeit arbeiten sie als wissenschaftliche Mitarbeiter:innen in der Justiz.

Einen anderen Ansatz verfolgt Niedersachsen. Dort ist es seit 2020 möglich, während des Referendariats im Rahmen einer Justizassistenz in der wissenschaftlichen Mitarbeit tätig zu sein. Die Referendar:innen erhalten auf diese Weise einen tiefen Einblick in die Arbeit der Justiz und werden zusätzlich bei einer Wochenarbeitszeit von sechs Stunden mit 400 € netto pro Monat belohnt. Auf diese Weise sollen mehr junge Jurist:innen für den Job begeistert werden.
 


FAQ: Der aktuelle Stand in der Justiz

Wie viele Richter gibt es in Deutschland?

In Deutschland gab es im Jahr 2020 insgesamt rund 22.000 Richter:innen. Der Großteil davon (15.976) saß an ordentlichen Gerichten, 2.428 an Verwaltungsgerichten, 1.917 an Sozialgerichten und 935 an Arbeitsgerichten. Daneben gibt es in Deutschland 563 Richter:innen an Finanzgerichten, 95 am Bundespatentgericht, 16 am Bundesverfassungsgericht und 13 am Truppendienstgericht.
 


Wer ernennt Richter in Deutschland?

Richter:innen in Deutschland werden von sogenannten Richterwahlausschüssen ausgewählt. Diese werden vom Bundesjustizminister einberufen und bestehen aus 32 Mitgliedern (16 Justizminister:innen der Länder sowie 16 vom Bundestag gewählte Mitglieder). Anschließend werden die Richter:innen vom Bundespräsidenten ernannt.
 


Wie viele Staatsanwälte gibt es in Deutschland?

2020 gab es in Deutschland rund 6.100 Staatsanwält:innen, die meisten davon in Nordrhein-Westfalen (1.227). Nur 78 Staatsanwält:innen gab es zu diesem Zeitpunkt im Saarland