Christian Solmecke, Partner bei WBS.LEGAL, im New Lawyers Podcast

Verfasst von Laura Hörner|Veröffentlicht am 28.02.2024

Christian Solmecke – Wie verändert Online-Marketing eine Kanzlei?

Der Rechtsanwalt, Autor und Youtuber im New Lawyers Podcast

Wer Christian Solmecke als Jurist:in nicht kennt, war wahrscheinlich noch nie im Internet unterwegs. Auf mehreren Social Media Kanälen und mittlerweile auch in Büchern erklärt er Jura für die breite Masse – und ist damit überaus erfolgreich. Wie es dazu kam, welche Auswirkung sein Internetauftritt auf seine Tätigkeit als Partner bei der Kanzlei WBS.LEGAL hat und an welchen wichtigen Fällen er beteiligt war, darüber spricht er in dieser Folge des New Lawyers Podcasts mit Alisha Andert.

 

Christian Solmeckes Karriere begann unter anderem damit, dass er Artikel über Kaninchenzüchtervereine schrieb. Schon mit fünfzehn Jahren war er als Journalist für verschiedenste Zeitungen tätig, mit siebzehn wurde er Radioreporter. Sein Jurastudium finanzierte er zehn Jahre lang als Nachrichtensprecher für WDR2.

Anders als sein damaliges Vorbild Uli Wickert verfolgte er jedoch keine Karriere im Journalismus, sondern entschied sich für eine juristische Laufbahn. Woher seine Leidenschaft für IT- und Medienrecht kommt, muss angesichts seines bisherigen Lebenslaufs wohl nicht mehr erklärt werden. Schon während seines LL.Ms in Belgien spezialisierte er sich und berät heute in seiner Kanzlei WBS.LEGAL Medien in juristischen Angelegenheiten.

Spannende Insights und interessante juristische Persönlichkeiten

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Vom ersten Video zum zehnköpfigen Social Media Team

Solmecke wollte jedoch nicht nur beraten, sondern auch viele Menschen erreichen – sei es über Blogs, Podcasts oder über die sozialen Medien. Er entschied sich dazu, die damals neue Plattform Youtube auszuprobieren und lud kurzerhand sein erstes Video hoch, das sich mit der Rechtslage bei gefälschten Ed Hardy Klamotten beschäftigte.

Nachdem die Aufnahmequalität dieses Video scharfe Kritik einer Freundin aus der Medienbranche erntete, pausierte Solmecke erst einmal ein Jahr lang. Dann entschied er sich, eine professionelle Kamera zu bestellen. Und wie es das Schicksal so will, entstand daraus seine nächste Videoidee. Anstatt einer Kamera erhielt er nämlich ein leeres Paket – und klärte im Anschluss seine Zuschauer auf, wer in solch einem Fall haftet.

Heute ist Solmecke dank seines Internetauftritts wohl einer der bekanntesten Anwälte Deutschlands. Und dafür arbeitet er hart: über Jahre lud er zeitweise sogar täglich ein Video hoch. Weil sich das allein kaum bewältigen lässt, hat sich Solmecke Unterstützung geholt. Zehn Personen arbeiten mittlerweile an seinem Social Media Auftritt mit und helfen zum Beispiel beim Schnitt oder bei der Vorbereitung der Skripte.

Vom Online-Auftritt profitiert auch die Kanzlei

Mit seinen Videos erreicht Solmecke nicht nur Kinder, wie anfangs von seiner Frau befürchtet. Im Gegenteil, sein Social Media Auftritt führte dazu, dass sich seine Kanzlei von acht auf hundert feste Mitarbeiter:innen und weitere hundert freie Mitarbeiter:innen vergrößerte und nun nicht nur Medien berät, sondern auch im Massengeschäft tätig ist.

Schnell viele Mandant:innen zu gewinnen, bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich. Denn die so entstehenden Fälle müssen natürlich bearbeitet und das operative Geschäft parallel zum Marketing aufgebaut werden. Auch Solmecke musste erst einmal lernen, wie er mit dieser großen Aufmerksamkeit umgeht. „Ich hab nur immer Geschäft reingekippt in die Kanzlei, aber gar nicht gecheckt, dass ja irgendjemand das noch abarbeiten muss“, erzählt er. Als erste Mitarbeiter aufgrund der Arbeitsbelastung kündigten, reagierte die Kanzlei und stellte mehr Personen ein – so wie auch Programmierer, um die Digitalisierung voranzutreiben.

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Ich hab nur immer Geschäft reingekippt in die Kanzlei, aber gar nicht gecheckt, dass ja irgendjemand das noch abarbeiten muss.
- Christian Solmecke

Massengeschäft: Das Facebook Datenleck

Wohl einer der spannendsten Fälle, an dem Solmecke beteiligt war, ist das Facebook Datenleck. Während viele Gerichte den Schaden der Betroffenen erst bei einem Missbrauch der geleakten Handynummern sahen, beharrte Solmecke darauf, dass der Schaden bereits im Verlust über die Kontrolle liegt. Schließlich ließe es sich auch kaum beweisen, dass ein Missbrauch der Nummer auf das Datenleck zurückzuführen ist. Momentan liegt der Fall beim Bundesgerichtshof und dem EuGH, die finale Entscheidung steht noch aus.

Sogar Solmeckes Sohn ist indirekt an diesem Fall beteiligt: Dieser hat nämlich ein Tool programmiert, über das Personen prüfen können, ob sie von dem Datenleck betroffen sind. Mehr als 800.000 Personen haben diese Anwendung bis heute genutzt, 20.000 davon wurden Mandant:innen der Kanzlei.

 

Du möchtest mehr über die Fälle hören, an denen Christian Solmecke beteiligt war? Oder du interessiert dich dafür, wie er neben der Partnerschaft noch seinen Online-Auftritt managt? Dann hör doch mal rein in diese Folge des New Lawyers Podcasts!

Die Themen dieser Folge im Überblick:

 

  • Ab 02:30: Icebreaker-Frage: Auf welchen Wochentag könntest du am ehesten verzichten?
  • Ab 02:30: Wie bist du zu Jura gekommen?
  • Ab 03:22: Hat dich der Journalismus zum Medienrecht gebracht?
  • Ab 06:39: Mitwirkung beim BGH
  • Ab 09:24: Wie waren die Reaktionen auf deinen Youtube-Kanal?
  • Ab 13:21: Wie hast du deinen Webauftritt professionalisiert?
  • Ab 16:17: Wie wirken sich deine Marketingaktivitäten auf die Arbeit in der Kanzlei aus?
  • Ab 19:49: Wie kommt ihr zu Fällen im Massengeschäft?
  • Ab 23:15: Wie schafft man es, das operative Geschäft parallel aufzubauen?
  • Ab 26:56: Der Fall Datenleck vor dem EuGH
  • Ab 31:30: Wie schaffst du es, alle deine Projekte zu koordinieren?
  • Ab 34:50: Welchen Tipp hast du, um den passenden Beruf zu finden?

Hier findest du das komplette Transkript der Folge mit Christian Solmecke

Intro & Icebreaker

 

Alisha Andert: Christian Solmecke ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei WBS Legal. Eine gewisse Berühmtheit erlangte er vor allem durch seine zahlreichen YouTube-Videos, außerdem auch seine TV-Auftritte und viele Bücher, in denen er Rechtsfragen verständlich erläutert. Wie er als eigentlich IT- und Medien-Rechter dazu kam, soziale Medien selbst für Marketing einzusetzen und welche spannenden Rechtsfälle er am ganz großen Stil verfolgt, darüber werden wir heute sprechen. Schön, dass du da bist, Christian Solmecke.

Christian Solmecke: Ja, danke dir für die Einladung.

Alisha: Und ich glaube, mit so einem professionellen Setup auf der anderen Seite hatte ich noch nie zu tun. Wir können uns quasi gar nicht sehen. So viel Mikro und Kabelei ist da zu sehen. Du sitzt da mit zwei Mikrofonen. Ich habe hier meinen Spuck-Schutz, der mir gegeben wurde, weil meine B- und P-Laute anscheinend zu intensiv sind. Also wir sind hier quasi, wir können uns eigentlich gar nicht angucken.

Christian: Also technisch geht nichts schief, jetzt muss nur noch der Inhalt passen, dann wird es ein Megapodcast.

Alisha: Okay, dann geben wir uns da auch mal Mühe. Und obwohl du Profi bist, kriegst auch du natürlich eine Icebreaker-Frage von mir, wie alle anderen Gäste auch. Und zwar möchte ich von dir gerne wissen, auf welchen Wochentag könntest du am ehesten verzichten? Auf den Montag. Schnelle Antwort, das liegt daran. Montag ist immer Rumble in the Bronx. Da ruft alles an, da sind unsere Konferenzen, da geht alles drunter und drüber. Also auf den könnte ich wirklich am besten verzichten.

Christian: Auf den Montag. Schnelle Antwort, das liegt daran, Montag ist immer Rumble in the Bronx. Da ruft alles an, da sind unsere Konferenzen, da geht alles drunter und drüber. Also auf den könnte ich wirklich am besten verzichten.

Alisha: Tja, und jetzt wird's philosophisch. Wenn der Montag nicht mehr da wäre, wäre dann nicht der Dienstag der neue Montag?

Christian: Ich befürchte ja. Aber erstmal hast du ja nur spontan gefragt, worauf kann ich verzichten? Wenn man das jetzt tiefer durchdenkt, dann vielleicht.


Werdegang zwischen Jura und Medien

 

Alisha: Da tauchen wir nicht ein, weil ich glaube, damit könnten wir wahrscheinlich schon die nächste halbe Stunde füllen. Stattdessen wollen wir natürlich lieber mal auf deinen spannenden Berufsweg schauen und gar ganz am Anfang mal platt begonnen damit, wie es eigentlich zur Jura gekommen ist. Denn das war ja aus irgendeinem nicht nachvollziehbaren Grund überhaupt nicht deine allererste Wahl.

Christian: Ja, das ist richtig. Tatsächlich wollte ich immer Journalist werden. Ich hatte dann eher so große Vorbilder wie ein Uli Wickert auf dem Schirm, die wären dann auch nicht brotlos, aber das ist so, als wenn du Nationalspieler einer ersten Bundesliga werden willst. Also, wie es dem auch sei, mir hat das Spaß gemacht, weil ich, seit ich 15 Jahre alt war, für verschiedenste Zeitungen geschrieben habe, da ist dann noch so ein Schülerbetriebspraktikum entstanden, hab dann damals über Kaninchen, Züchtervereine und Ratssitzungen geschrieben. Und dann fand ich irgendwie voll cool. Dann wurden Radiosender bei uns im Kreis gegründet, Radio NPO-Kreis, die suchten junge Journalisten. So habe ich mit 17 angefangen, Radio zu machen, war dann da der rasende Reporter, erst für Radio NPO-Kreis, dann für Radio Köln. Also war der Weg so ein bisschen Richtung Journalismus vorgezeichnet und ich habe dann mein Jurastudium auch 10 Jahre als Nachrichtensprecher für WDR 2, unseren lokalen Radiosender hier finanziert - dann ist irgendwie doch nicht Jura geworden.

Alisha: Ja, ich wollte gerade sagen, du hast ja deine Liebe zu den Medien gar nicht erst dann später im Medienrecht entdeckt, sondern tatsächlich schon alle möglichen Nebenjobs parallel gemacht zum Jurastudium. War das dann so irgendwie das, was dich auch später dahin gebracht hat?

Christian: Absolut. Das ist tatsächlich eine Leidenschaft von mir, dass ich Medien liebe, egal ob jetzt Funk oder Fernsehen, es hat halt mit Schreiben begonnen, dann kam klassisch Funk, später kam auch Fernsehen. Journalismus studiert habe ich deswegen nicht, weil man damals einen Abischnitt von 1,0 brauchte, um Journalismus zu studieren, ist auch heute noch eine hohe Herausforderung damals für mich mit meinem 2,0er Abischnitt weit entfernt. Jura war damals noch, ich glaube 2,5, 2,6. Heute höre ich Uni Köln, wenn du Jura studieren willst, sind es auch 1,6. Also auch da haben die die Zügel offenbar ordentlich angezogen, wie dem auch sei, ich dachte mir, mit Jura kannst du alles machen, bin dann erstmal zu Jura rein gestolpert, habe dann Jura studiert, das Studium, joa war zäh, war jetzt nicht ein Selbstläufer. Ich musste da auch echt hart mich überwinden, teilweise trockenste Materie, die ich heute übrigens sehr spannend finde, zu lernen. Aber damals habe ich überhaupt keinen Zusammenhänge verstanden, warum lernt man, was eine Willenserklärung ist. Das war mir irgendwie suspekt. Naja, dann kam ich dann nachher zum LLM, den habe ich gemacht im Belgien. Da war eine Spezialisierung auf Medienrecht möglich. Da habe ich so ein bisschen Jura mit den Medien kombiniert. Und siehe da, als ich dann erstmalig im Job war, dachte ich, ah, wenn man jetzt noch ein bisschen Ahnung hat, wie man Menschen erreicht über Internet-Blogs, über Podcasts, über YouTube, dann wird irgendwie wieder ein Schuh daraus für mich. Und so habe ich dann Medien und Jura auf zweierlei Weise verknüpft. Erstmal nutze ich die Medien fürs Marketing und zweitens berate ich die Medien auch in meinem juristischen Umfeld.


Mitwirkungen am BGH und erste Schritte auf YouTube

 

Alisha: Genau, zu deinem Marketing-Kanal wollen wir später noch kommen. Zunächst bleiben wir mal beim juristischen Feld, denn du bist ja technisch IT-Rechler, Medienrechler, das ist sozusagen dein fachliches Umfeld. Und du hast da, das wissen vielleicht manche gar nicht, weil sie dich gerade von YouTube und von den heutigen Marketing-Kanälen kennen, aber du hast auch dort an relativ spannenden Entscheidungen mitgewirkt, auch beim BGH, kannst du mal davon berichten?

Christian: Ja, tatsächlich, die spannendste Entscheidung für uns war das Morpheus-Urteil und das war ein 17-Jähriger und dessen Wohnung bzw. die Wohnung seiner Eltern hatten die durchsucht, weil er nämlich ein paar Robbie Williams-CDs getauscht hatte, damals noch mit Napster, heute wäre das wahrscheinlich BitTorrent gewesen und wir hatten da diesen einen Tag, da gab es 140 Hausdurchsuchungen in ganz Deutschland. Also die Polizei, die glaubte, ein Riesenschlag gegen organisierte Kriminalität sei gelungen. Es waren aber nur Wohnungen von Kiddies, bzw. deren Eltern, die Musik getauscht hatten. Wie dem auch sei, Landgericht Köln und Oberlandesgericht Köln hatten mir gesagt, dass ich das Ding verliere und ich hab's auch verloren, weil die Eltern ihre Aufsichtspflicht gegenüber diesem 17-jährigen verletzt hatten. Sie hätten nämlich die ganze Zeit neben ihm sitzen müssen, während er im Internet war.

Alisha: Sehr realitätsnah.

Christian: Sehr realitätsnah. Mein Sohn ist jetzt 16.

Alisha: Setz dich mal neben den, den ganzen Tag.

Christian: Setz dich mal neben den. Du willst da nicht neben sitzen. Du willst nicht ne Stunde zugucken, wie er sich Papaplatte auf YouTube reinzieht. Keine Ahnung, der geht ja sogar noch, aber da ist wirklich auch TikTok-Content, keine Ahnung, was er sich da reinzieht. Egal. Ich dachte, das kann nicht wahr sein. Und da haben wir das Ding zum Bundesgerichtshof hochgebracht und das war echt staatstragend. Die Richter, die stehen dann da und du stehst vor den großen Herren des Bundesgerichtshofs. Du darfst ja nicht selber auftreten. Ich war sozusagen nur Beistand für unseren BGH-Anwalt. Und ja, da sagten die Richter schon direkt zu Anfang, naja, wir haben ja auch Kinder. Ich dachte so, puh, ein Glück. Und dann ging es wirklich darum, dass die ausgeurteilt haben, naja, Eltern müssen Kinder belehren, wenn sie sie erstmalig ins Internet lassen. Wenn sie das nicht getan haben, können sie in die Haftung kommen. Allerdings, danach müssen sie nicht mehr neben ihren Kindern sitzen. Und das hat mir damals schon geholfen für 20.000 Verfahren, die ich damals schon für Tauschbörsen-Nutzer gegen die Musikindustrie geführt hatte. Und da haben wir echt den Kopf aus der Schlinge gezogen mit diesem BGH-Urteil und auch ein bisschen Rechtsgeschichte geschrieben.

Alisha: Das finde ich nämlich auch. Also das ist schon spannend und ich glaube, dass auch eine Entscheidung ist, die viele tatsächlich betrifft, von der viele schon mal gehört haben, weil das natürlich echt durch die Medien gegangen ist und wirklich einen Unterschied gemacht hat, kann ich mich tatsächlich ganz gut daran erinnern. Von daher war ich selber überrascht, denn ich wusste bis zu unseren Gesprächen vorab überhaupt nicht, dass das von dir mitgetragen wurde. Also tatsächlich hast du da einen großen Beitrag geleistet. So, jetzt wollen wir aber mal zu diesem ganzen großen YouTube- und Marketing-Aspekt kommen. Das ist wahnsinnig spannend, denn man kann glaube ich sagen, du bist einer der ersten, wenn nicht vielleicht sogar der erste Anwalt, der YouTube zumindest auf dem Level aktiv als Marketing-Tool eingesetzt hat. Und da würde ich jetzt ganz gerne mal an den Anfang dieser Entwicklung schauen, denn irgendwann ist man ja der erste, der das macht und macht sich erst mal irgendwie zum Deppen, oder? Wie sind so die Reaktionen der anderen gewesen?

Christian: Also, das Erste, was ich gemacht habe, war ein Video: Wie ist die Rechtslage bei Ed Hardy-Abmahnungen? Ed Hardy war eine Klamottenmarke.

Alisha: Ich erinnere mich, das war eine Geschmacksverirrung der Menschheit.

Christian: Absolut. Aber die waren nicht unerfolgreich.

Alisha: Sehr erfolgreich.

Christian: Ja, jedenfalls so erfolgreich, dass sich viele Leute gefällt, die Klamotten aus der Türkei mitgebracht haben und überflüssige Stücke oder getragene Stücke oder einfach mehr mitgebracht haben, dann verkauft haben, auf Ebay und teuer abgemahnt wurden. Ich dachte mir, jetzt probierst du mal diese neue Plattform YouTube aus. Das ist jetzt auch zwölf Jahre her. Und meine Frau sagte mir damals, kannst dich machen, Christian, YouTube, das gucken doch nur Kinder.

Alisha: Und du möchtest ja jetzt keine Kinder als Mandanten akquirieren, ne?

Christian: Genau, richtig. Ich dachte mir so, ist doch jetzt egal. Ich bin ein Spielkind. Ich bin auch noch ein Kind. Also lass mich das mal ausprobieren. Also ich hergegangen, meine Webcam genommen. Die Webcam hatte auch ein Mikrofon und einfach reingeredet in die Webcam.

Alisha: Geil, Webcam ist auch so ein Relikt. Das hat auch irgendwie keinen Wind mehr in der Form, oder? Sondern diese kleinen, dicken Dinger, die man sich sozusagen noch so irgendwo draufgeschnallt hat auf den Computer.

Christian: Absolut. Heutzutage sind die im Laptop alle integriert, aber damals hast du sie tatsächlich noch irgendwo draufgeschnallt. Und ja, ich hab da reingesprochen, ein Video hochgeladen, kein Licht gehabt, keinen Ton großartig gehabt, das war alles Grotte. Und da sagt mir eine Freundin, die bei Stern TV gearbeitet hat, bei RTL, Christian, wenn du es so schlecht machst, dann kannst du es mit YouTube auch direkt ganz sein lassen.

Alisha: Man braucht ehrliche Freunde in seinem Umfeld.

Christian: Absolut. Ich hab's dann auch direkt sein gelassen. Ein Jahr lang hab ich es nicht mehr angepackt, das Thema YouTube damals. Und da dachte ich mir, kann doch nicht wahr sein, dass ich das nicht hinkriege. Ich bin doch so ein Techie, probier überall was aus. Und hab dann eine ordentliche Kamera bestellt. Also ein Freund von mir, der war Fotograf und der hat mir das alles erklärt. Hat gesagt, du brauchst einen ordentlichen Fotoapparat. Das war damals eine Canon EOS 7D. Die hab ich bei Amazon bestellt. Gutes Licht und einen guten Tonaufnahmegerät. Und witzigerweise ist das gleiche Aufnahmegerät damals vor zwölf Jahren, mit dem wir auch hier diesen Podcast aufnehmen, das Zoom H4M. Das war damals schon State of the Art und ist es heute noch.

Alisha: Sehr gut. Das ist auch schon mal gut, dass unser Mikro das Beste ist, was man haben kann.

Christian: Absolut. Und dann habe ich die Aufnahme gemacht, die war auch deutlich besser. Und der Gag ist, ich wusste gar nicht, welches Thema ich machen sollte. Also hatte ich mir diese Kamera bestellt für, ich glaube, anderthalbtausend Euro. Öffne den Amazon Karton. und der war leer. Das heißt, ich habe eine anderthalbtausend Euro Kamera bestellt und sie war leer. Das war die Kamera, mit der ich YouTube starten wollte.

Alisha: Das ist kein gutes Omen für deine YouTube-Karriere.

Christian: Dachte ich auch und deswegen habe ich gemacht, das erste Video von mir auf dem echten WBS-Kanal ist der Versendungskauf bei Amazon. Wer haftet, wenn das Paket leer ist? Großartig! Also, ja. Das war das erste Video. Hatte, glaube ich, 100 Zuschauer. Ich war komplett happy bei 100 Zuschauern. Und nachher hatten wir dann mal 10.000 Zuschauer. Heute bin ich enttäuscht. Alles, was unter 60.000, 70.000 Zuschauer geht, bist du enttäuscht. So ändern sich dann auch die Ansprüche.

Alisha: Genau, so verändern sich die Ansprüche. Wie hast du denn gleichzeitig diesen Web-Auftritt schrittweise professionalisiert? Also was passiert auf der Reise "von ich bin froh, dass ich 100 Aufrufe habe" zu "unter 60-70 .000 bin ich enttäuscht". Was ist in der Zeit quasi passiert? Was waren so deine Schritte?

Christian: Also das Schlimme ist immer der Anfang, das muss man sicherlich so sagen, weil da machst du noch alles selbst. Ich habe die Sachen selber geschnitten, habe mir die Texte selber getextet, hochgeladen, denn ich war ja nur angestellter Anwalt und habe das immer abends gemacht. So und das war hart. Da habe ich dann ein Video pro Monat erst gemacht, dann ein Video pro Woche. Aktuell sind wir wieder bei drei pro Woche, waren aber jetzt mal acht Jahre täglich einem Video. Dann habe ich mir einen Jurastudenten besorgt, den Jan, und der hat damals mir die Videos schon mal geschnitten. Das war ja schon mal gut. Dann hatte ich schon mal jemanden, der scheidet. Dann habe ich mir einen nächsten Jurastudenten engagiert und der hat die Themen geschrieben. So, schon mal vorgeschrieben. Dann hatte ich schon mal Texte. Ja, und so ging das Schritt für Schritt. Jetzt sind wir ein Team für alle Social Media Aktivitäten von zehn Leuten. Das heißt, du hast richtige Redaktionskonferenzen, Slack-Channel, wo die Themen gesammelt werden. Das ist schon Stück für Stück, Jahr für Jahr professionalisiert worden und wir machen das immer weiter. Also zuletzt habe ich den ganzen Produktionsworkflow auf Asana umgestellt, so ein Task-Tool, mit dem ich eben gucken kann, in welcher Stage befindet sich gerade eine YouTube-Idee- von "anrecherchiert", zu "wird gemacht", zu "Skript liegt vor", "Skript ist abgenommen", "Skript ist fertig", "Skript ist drehbereit". Durchwandert das Stufen, mit denen ich eigentlich nichts mehr zu tun habe. Ich kriege nur noch fertige Skripte und die sortiert nach "mach das jetzt bitte Christian, weil wir wollen es morgen senden". Also ja, das hat sich da echt gewandelt, der ganze Produktionsprozess und professionalisiert.

Alisha: Ja, da hat sich deine Rolle ja dann auf jeden Fall auch verändert, von der Person, die alles macht hin, dann doch eher zu Ulrich Wickert, muss ich sagen. Also du hast eine gute Entwicklung, die du dir da am Anfang gewünscht hast, auf jeden Fall hingelegt. Ich habe in Vorbereitung auf den Podcast mir das ein oder andere Video auch noch mal angeguckt. Und seitdem krieg ich auch ständig Alarme, dass wieder ein neues Video hochgeladen wurde.

Christian: Dann mach ich irgendwas richtig.


Zusammenspiel aus Marketing und Kanzleigeschäft

 

Alisha: Auf jeden Fall. Also ich hab jeden Tag jetzt einen Alarm, dass es ein neues Video gibt. Ich hatte mir zuletzt, glaub ich, angeschaut, wie du analysiert hast den Fall Gil Ofarim, der eben gerade kürzlich durch die Presse ging. Wenn diese Folge rauskommt, ist es auch nicht mehr so kürzlich, aber auf jeden Fall aus unserer Perspektive noch nicht so lange her. Und ich hab mir das angeguckt, fand das auch irgendwie spannend und informativ. Und ja, kann mir durchaus vorstellen, dass das ganz gut ankommt. Jetzt würde mich natürlich mal interessieren, was macht das denn mit der Kanzlei? Also du bist bei WBS Legal. Vielleicht kannst du einmal kurz sagen, in was für einem Bereich ihr eigentlich tätig seid. Und was mich dann natürlich interessiert, ist, inwiefern spielen denn diese Marketing-Aktivitäten und das Kanzleigeschäft zusammen?

Christian: Das hat schon im Laufe der Jahre immer mehr Bedeutung bei uns bekommen. Erst mal war es eine Spielerei von mir und nachher sah man, dass darüber auch wirklich Geschäft kommen kann. Also viele haben sich immer gefragt, naja, wenn der Junge, wenn der Solmecke ein Video macht, 20 Dinge, die Lehrer machen, aber nicht dürfen. So, das war so ein Video, das hat mir mein Sohn mal empfohlen. War auch unser erfolgreichstes Video mit drei Millionen Zuschauern. Das hat er mir empfohlen. Ich glaube, da war er elf.

Alisha: Das hat alle Schüler interessiert.

Christian: Da sagen jetzt viele: Ja, ist ja nice, dass er jetzt drei Millionen Zuschauer hat, aber welchen Schüler will der vertreten? So, erst mal, ich vertrete sicherlich keine Schüler oder wenn nur deren Eltern, wenn die Schüler vielleicht gemobbt werden, so was würde schon noch in unseren Scope fallen, aber ich habe in unseren Videos, allerdings bin ich leider erst nach sieben Jahren auf die Idee gekommen, immer eine Bauchbinde. Und in dieser Bauchbinde steht drin beispielsweise "Seid ihr beim Tausch von Musik abgemahnt worden? dann kommt zur Kanzlei WBS". Das heißt, ich habe zwar ein Video zu einem ganz anderen Kontext, was Schüler nicht dürfen, aber mache Werbung für unsere Produkte. Wir haben so vier, fünf, sechs Standardprodukte. Was kann noch so ein Standardprodukt sein? Wir haben zum Beispiel vielen Leuten im Diesel-Skandal geholfen. Oder wir helfen vielen Leuten in Sachen Facebook-Datenleck. Das ist so das, was ich Produkte nennen würde, Jura-Produkte. Und die kannst du in jedem Video anpreisen. Ja, und das hat dazu geführt, dass wir die Größe der Kanzlei von acht Mitarbeitern auf mittlerweile 100 Mitarbeiter hocharbeiten konnten. Wir haben sogar noch 100 freie Mitarbeiter noch zusätzlich dabei. Also sind wir insgesamt 200 Leute. Also sind da eine schlagkräftige Truppe geworden, sind drei Partner in der Kanzlei. Und insofern kann man sagen, YouTube hat einen Riesen-Impact auf unser Kanzlei-Geschäft, denn während wir früher nur Medien beraten haben, bspw. Bands wie BAP oder hier die Kölschchen Höhner und haben für die die Plattenverträge gemacht, da kommt das alles ursprünglich her von Rafaela Wilde, sind wir nachher breiter geworden und sind ein Stück weit auch ins Massengeschäft eingestiegen. Mittlerweile macht das Massengeschäft zwei Drittel aus und das Unternehmensberatungsgeschäft ein Drittel. Und alles ist aber gewachsen durch diese Aktivitäten. Selbst das Untergeschäft, wo wir für 350 Euro netto die Stunde Unternehmen beraten. Also selbst das ist sehr gut durch YouTube gewachsen, möchte man nicht meinen, aber die Medienindustrie beauftragt uns deswegen, weil sie meinen, und ich würde auch sagen, es ist so, die kennen sich mit Medien aus. Die sind ja selber viel in den Medien.

Alisha: Ja, das ist tatsächlich ganz interessant an eurer Kanzlei. Zumindest seid ihr aus meiner Perspektive die Einzigen, die diese beiden doch recht unterschiedlichen Bereiche miteinander kombinieren. Auf der einen Seite das klassische Medienrecht, Beratungsgeschäft und auf der anderen Seite das Massengeschäft, man würde auch von Legal Tech Kanzlei sprechen, also eben typischerweise kleine Verbraucherrechtsforderungen, die im großen Stil geltend gemacht werden und das eben skalierbar über Prozesse und Technologie. Das ist ja im Wesentlichen auch so das, was ihr macht und das ist auch ein ganz spannender Bereich, für den ich mir auch extrem gut vorstellen kann, dass so ein breit gestreutes Feld über YouTube und Marketing wahnsinnig zuträglich ist. Wie läuft es dann bei euch in diesem Massengeschäft? Du hast gerade so ein paar Fälle genannt. Kannst du die einzelnen Fälle mal so ein bisschen erläutern und vor allem auch mal erzählen, wie kommt ihr denn dazu? Wie findet man das heraus, dass wir sozusagen hier einen Fall haben, der sich für ein Massengeschäft eignen würde, wie zum Beispiel das mit den Facebook-Datenlecks?

Christian: Das ist tatsächlich die schwierigste Frage. Das wäre sehr schön, wenn ich das genau beantworten könnte. Facebook-Datenleck, das Datenleck war ja auf der Hand. Ich dachte nur so, wie willst du jetzt darüber Mandanten akquirieren? Du kannst jetzt zwar sagen, dass sie, ja, dass es eventuell ein Datenleck gibt, aber die konnten damals noch gar nicht checken, ob sie betroffen sind, nicht betroffen sind. Das heißt, da war es eher eine Herangehensweise... das Facebook-Datenleck war bekannt. Ich dachte, wie blöd ist das, dass jetzt auch meine Handy-Nummer im Internet ist, denn mir hatte jemand eine SMS geschrieben und gesagt, "hey Christian, wir kennen uns nicht, aber ich habe deine Handy-Nummer aus dem Darknet, denn du bist betroffen vom Facebook-Datenleck". Ich war persönlich betroffen. Ich bin Mandant Nummer eins bei mir, ist schon mal immer gut. Und da dachte ich mir so, ja, da muss doch was getan werden. Ich erzähl das in der Family. Und was krieg ich zum Vatertag 2021 geschenkt von meinem Sohn, der sich mir im Alter von 13 programmieren beigebracht hatte, den Facebook-Datenleck-Checker. Er hat sich hingesetzt, dachte, ich muss Papa was zum Vatertag schenken. Er hat immer gesagt, wir müssen die adressieren. Er hat sich hingesetzt und hat so ein einfaches Tool geschrieben, womit man seine Handynummer eingibt und checken kann, ob man betroffen ist. Das Tool haben mittlerweile 800.000 Deutsche genutzt und 20.000 sind meine Mandanten darüber geworden. Ich hab dann auch sein Taschengeld um zehn Euro angehoben.

Alisha: Das ist aber eine gute Investition.

Christian: Ja, das war eine gute Investition. Scherz beiseite, klar, das war für uns ein Gamechanger, dass wir da so ein Tool hatten. Dann wussten wir, wie es geht. Dann hattest du das nächste Datenleck. Wir waren dann plötzlich firm in Datenlecks, firm in Massengeschäft waren wir, weil ich 80.000 Tauschbörsennutzer vertreten hatte. Auch da kam irgendwann Mandant Nummer eins in die Kanzlei. Ich hatte einen Blogtext dazu veröffentlicht und dann kamen plötzlich zehn Mandanten und dachte ich so, okay, vielleicht haben die hier mehrere abgemahnt. Jetzt gebe ich mal eine Pressemitteilung raus. Dann saß ich bei Stern TV und plötzlich haben 400 Mandanten, potenzielle Mandanten, angerufen. Da dachte ich so, wow, hier haben wir in ein Wespennest gestochen. So bin ich sozusagen auf Tauschbörsenverteidigung gekommen. Dieselskandal waren wir ein bisschen spät dran, muss ich sagen. Da haben wir zwar auch noch ein paar tausend Mandate, aber längst nicht so viel wie andere Kanzleien. Und der aktuelle Hit, muss man ehrlicherweise sagen, war, dass die Mobilfunkbetreiber deine Daten an die Schufa übermittelt haben, ohne dass du dein Einverständnis dazu erklärt hast. Und das habe ich auch irgendwo in der Tagesschau gelesen, wo ich sie dachte, das ist doch auch eine Sauerei. Und das versuchen wir gerade hinzubekommen, dass wir da den Betroffenen Schadenersatz besorgen. Und da muss ich sagen, das ist sicherlich das Größte, weil da sind Hunderttausende Betroffene und es haben sich auch in den Dimensionen Leute bei uns gemeldet. Also das ist wirklich riesig.


Aufbau des operativen Geschäfts

 

Alisha: Also was man auf jeden Fall sehen kann, ist, aufmerksam Medien verfolgen ist erst mal gar nicht so blöd, wenn man ein neues Geschäft entdecken möchte. Das, glaube ich, sollten sich alle Anwältinnen und Anwälte überlegen. Das ist immer gut. Was man aber auch sieht, ist, durch diese Marketingaktivitäten, die ihr schafft, habt ihr natürlich ganz andere Skalierungseffekte. Da kommen dann halt auf einmal wirklich 100.000 Leute. Wie schafft man es denn oder wie habt ihr es geschafft, gleichzeitig auch das operative Geschäft da mit aufzubauen, weil das eine ist ja einen vollen Sales Funnel zu haben und da freut man sich und das andere ist dann die Fälle tatsächlich auch bearbeiten zu können.

Christian: Ja, das muss ich auch sagen, war mein größter Fehler, das habe ich jahrelang versäumt. Ich habe nur immer Geschäft reingekippt in die Kanzlei, aber gar nicht gecheckt, dass ja irgendjemand das noch abarbeiten muss. Gut, das merkst du dann, indem die ersten Mitarbeiter kündigen und sagen, in der Kanzlei will ich nicht arbeiten, hier wirst du ja geknechtet ohne Ende. Und dann war wirklich Chaos, das war in der Anfangszeit des Tauschbörsengeschäfts, also es ist auch zum Glück schon zehn Jahre her. Dann merkst du, okay, die kündigen, du selber musst näher ran und dann ist das wie so ein Dominoeffekt. Dann habe ich gecheckt, also erst mal Mitarbeiter auf Vorrat einstellen, also wir haben ohne Ende Mitarbeiter eingestellt. Das war zwar teuer, aber wir konnten damit schnell viele Probleme lösen, habe aber gesehen, dass es auf Dauer auch nicht geht. Dann haben wir angefangen, Programmierer Nummer eins einzustellen, war Jürgen.

Alisha: Und das war nicht dein Sohn?

Christian: Das war nicht mein Sohn, der war damals, ja vor zehn Jahren, der fünf.

Alisha: Ja gut, also wer mit 13 da schon so einen Check programmiert, der hat vielleicht auch schon mit fünf ein paar Ideen.

Christian: Mit fünf hat er Clash of Clans gespielt, glaube ich, aber ich glaube, war vom Programmieren noch ein bisschen entfernt. Naja, jedenfalls Jürgen haben wir eingestellt, der hatte uns dann eine Web-Oberfläche zur beschleunigten Bearbeitung von RA Mikroakten geschaffen. Also das Standardsystem in Kanzlein war bis dato immer RA Mikro, da ist es auch noch bis jetzt RA Mikro. Das war für mich nicht die allercoolste Software, deswegen haben wir da ein bisschen was Eigenes gebastelt, wo wir über eine Web Oberfläche die Informationen aus RA-Mikro darstellen konnten. Mehr erst mal nicht. Aber du konntest überall damit arbeiten, dann auch von außerorts Menschen einsetzen, die mussten nicht alle in die Kanzlei kommen, wir konnten also recht früh schon, das hat uns in Corona-Zeiten natürlich geholfen, full remote arbeiten. Und das haben wir professionalisiert, dann kam eine eigene Datenbank zu diesem System und dann haben wir nach und nach RA Mikro abgelöst und sogar eine eigene Anwaltssoftware daraus programmiert, die dann jetzt auch in der Lage ist, vieles von dem, was wir hier tun, zu automatisieren. Die haben wir dann auch mit LegalVisio selbst an den Markt gebracht, das ist ne eigene Software geworden, das heißt wir haben das ausgegliedert aus der Kanzlei, um auch die Entwicklung da weiter zu professionalisieren. Das ist ein eigener Job für sich, ich bin jetzt auch froh, dass ich da nicht mehr Geschäftsführer bin oder jedenfalls nicht mehr operativ, aber das hat sich dann auch krass entwickelt.

Alisha: Ja, also man sieht, das ist immer ein Zusammenspiel von einerseits Fälle rein bekommen, andererseits sie auch abarbeiten zu können und das finde ich immer ganz, ganz spannend, das zu beobachten, auch wie Kanzleien da hinkommen. Es gibt natürlich auch viele, die sich von vornherein so aufstellen und darauf im Grunde genommen bauen. Und das war bei euch ja ein bisschen anders. Das ist ja quasi so mit der Zeit gewachsen und das finde ich macht das auch etwas besonders im Vergleich zu anderen Legal Tech-Unternehmen, die natürlich ganz aktiv mit dieser Vision schon in den Markt kommen.

Christian: Das stimmt. Also wir haben mit Marketing begonnen und Tech kam viel später. Also wir wissen vielleicht, wie man Marketing-Tech kann. Also wie man Marketing automatisiert. Wir haben auch Google AdWords geschaltet bei Facebook, aber dass wir die Abarbeitung professionalisiert haben, das ist noch lange nicht abgeschlossen. Da sehe ich andere Kanzleien, die noch vor uns sind. Also wir lösen es im Moment immer noch mit Menschen. Das geht aber übrigens auch ganz gut. Also man muss nicht alles mit KI lösen. Zur Not stellst du einfach ein paar Leute mehr ein. Bist da nicht mehr ganz so profitabel, aber es ist vielleicht an manchen Stellen auch sauberer. Also hat alles Vor- und Nachteile. Ich hätte gerne noch mehr Tech in der Kanzlei, aber wenn du so groß bist, stellst du nicht mal eben deine Systeme um. Das ist dann auch wieder schwierig, aber da sind wir dran.


Justizfall Facebook Datenlecks

 

Alisha: Ich möchte nochmal zu einem Thema zurückkommen und zwar zu dem Facebook-Datenlecks, und zwar, weil ihr, wenn ich mir das richtig notiert habe, ganz spannende EuGH-Entscheidungen gerade abwartet oder da aktiv beteiligt seid. Kannst du davon mal berichten?

Christian: Ja, es ist so, dass wir im Facebook-Datenleck ein großes Thema bei den Gerichten haben. Die fragen sich nämlich, ab wann ist eigentlich ein Schaden entstanden? Und ich habe immer gesagt, der Schaden ist schon dann entstanden, wenn die Handy-Nummer im Internet rumschwirrt. Ich will nicht, dass meine Handy-Nummer im Internet ist und das ist schon ein immaterieller Schaden. Und da haben mir einige Gerichte, relativ viele sogar in Deutschland gesagt, nö, ein Schaden ist erst dann da, wenn wirklich auch ein Missbrauch mit der Handy-Nummer passiert ist. Da habe ich immer gesagt, wie soll ich das denn beweisen? Ob mir jetzt jemand mein Konto versucht zu hacken, weil er meine Handy-Nummer hat oder den Enkeltrick versucht. Wie soll ich beweisen, dass das alles aufgrund des Facebook-Datenlecks ist? Da haben die Gerichte die Schulter gezuckt,-  ich war jetzt noch vor vier Wochen selber als Anwalt beim OLG Köln habe drei Stunden mit den Richtern gefightet im Gerichtssaal- und ich habe der Richterin gesagt, das kann doch nicht sein, dass ich erst nachweisen muss, dass Missbrauch passiert. Der Schaden ist der Kontrollverlust. Und wir hängen damit gerade beim Bundesgerichtshof. Der wiederum hat einiges dem Europäischen Gerichtshof jetzt vorgelegt an Fragen. Aber das Interessante ist, dass fast schon in vorauseilendem Gehorsam der Europäische Gerichtshof jetzt vor kurzer Zeit in einem sehr ähnlichen Fall, wie dem Facebook-Datenleck gesagt hat  "Nö- alleine wenn die Daten im Internet rumschwirren und man einen Kontrollverlust hat, hat man einen Anspruch auf Schadenersatz. Das ist sensationell gut für die Verbraucher, weil man dann nach einem Hack nur beweisen muss, ey meine Daten sind aufgrund des Facebook-Datenlecks oder des dieser Datenlecks im Internet. Das ist der Schaden. Das hat jetzt der Europäische Gerichtshof gesagt, das war allerdings kein Fall von uns, sondern das war ein Fall aus Bulgarien, da sind den bulgarischen Steuerbehörden die Steuerdaten der Bürger abhanden gekommen und die sind jetzt im Internet zu finden und alleine, weil diese Daten im Internet sind, ist schon ein Schaden entstanden. Aber der Fall ist sehr ähnlich zu den anderen Datenlecks. Und da bin ich jetzt mal gespannt, was die deutschen Gerichte daraus machen. Die haben keinen Bock auf Massenverfahren, das ist mir schon klar. Sie werden irgendwas versuchen, aber eigentlich geht kaum was.

Alisha: Das ist tatsächlich ganz interessant, das möchte ich mal nicht hoffen, möchte ich auch nicht unterstellen, dass Richterinnen und Richter genau deswegen so entscheiden, weil sie keine Lust haben. Du darfst das auch, ich würde mich da zurückhalten.

Christian: Ich darf das schon, weil das Oberlandesgericht in den Verhandlungen betont, wie ich doch um Mandate werben würde. Und mir wirklich zeigen, meine YouTube-Werbung, das könne ja nicht sein. Das geht aber schon, das ist halt Business, was wir machen. Da muss ich sagen, da bauen sich gerade Fronten auf. Die Richter haben keinen Bock auf diese Verfahren. Was mich wundert, weil sie können ja schnell ihre Nummern schreiben damit.

Alisha: Aus Richterperspektive kann ich das sogar verstehen, dass man generell keine Lust darauf hat, da massenweise zugeschüttet zu werden und vor allem auch immer das Gleiche zu machen. Was völlig klar ist, ist, dass die Antwort auf dieses Ich hab darauf keine Lust halt nicht sein darf, dass die Rechte eingeschränkt werden.

Christian: Absolut. Die Antwort wäre Legal Tech. Ja, die müssen halt auch aufrüsten. Klar, wir haben aufgerüstet, wir Anwälte mit Legal Tech. Klar kann ich 10 .000 Klagen einreichen. Die Richter kriegen die aber nicht mehr bearbeitet. Und sie versuchen es dann mit teilweise Klageabweisungen, die hanebüchen sind. Aber klar, wir gehen damit immer weiter, gehen zum Bundesgerichtshof, gehen zum Europäischen Gerichtshof. Das lassen wir uns ehrlich nicht bieten. Gerade nicht, wenn du wüsstest, wir haben es ja auch veröffentlicht, was beim Oberlandesgericht Hamm da abgelaufen ist. Also das ist wirklich unter aller Sau ein Angriff gegen die Anwälte, die es machen. Was total neben der Sache ist, weil die nämlich sagen, ihr werbt hier um Mandate, die sonst niemals zu Gericht gegangen wären. Aber das ist es doch. Access to Justice.


Bewältigung des Arbeitspensums zwischen Jura, Marketing und Medien

 

Alisha: Das kann ja auch sein, aber das ist ja eigentlich eher eine Problembeschreibung, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht anders an ihre Rechte kommen. Da bin ich total bei dir, das weißt du ja auch. Ich sehe trotzdem natürlich auch die andere Seite und kann zumindest den Impuls verstehen, dass man auf diese Sachen keine Lust hat, aber trotzdem völlig klar muss da eben die Maßnahme eine andere sein. Und ich bin mal sehr gespannt, ob das nächste EuGH-Urteil möglicherweise von euch erstritten wird. Ich komme ja ursprünglich mal aus dem Hause Flightright, da wurden ja viele EuGH-Urteile selbst erstritten und da wird tatsächlich auch immer weiter ein Stück Rechtsfortbildung geleistet oder die Rechtsgeschichte fortgeschrieben und ist deswegen sehr, sehr spannend. Jetzt muss man natürlich mal fragen, also du machst solche Sachen, du streitest dich da mit den Richtern vor Ort, machst quasi strategic litigation, um eben bestimmte Fälle da durchzubekommen. Du nimmst zwischen einem Video pro Woche bis zu sieben Videos pro Woche auf, sitzt regelmäßig im Fernsehen, du hast mehrere Bücher schon geschrieben, wo du tatsächlich relativ niedrigschwellig bestimmte rechtliche Sachverhältnisse erläutert hast. Das sind sehr, sehr viele Aktivitäten, die eben nicht nur Marketing sind. Wie machst du das? Würdest du sagen, dass das vielleicht sogar deine Hauptaufgabe für die Kanzlei ist, im Grunde genommen diesen Marketingbereich zu machen, oder hast du irgendwelche speziellen Tricks, wie man das alles miteinander vereinbaren kann?

Christian: Also der beste Trick, würde ich sagen, ist, man muss lernen zu delegieren und loszulassen. Das ist erst mal mein Ding. Ich kann hervorragend delegieren und bei jeder Aufgabe, die für mich reinkommt, überlege ich, wer kann es für mich tun, und zwar sehr, sehr konsequent. Und so was, was wir jetzt hier machen, dass ich mich 35, 40 Minuten in einen Podcast setze, ist sehr, sehr selten. Also das ist eben nicht delegierbar und deswegen war es bei uns ja auch beispielsweise schwierig mit der Terminfindung. Das sind dann die Momente, wo ich selber ran muss. Das geht ja nicht anders, wenn man einen Podcast über mich machen will oder unsere Aktivitäten. Und deswegen sehe ich zu, dass ich das so gering wie möglich halte. Alles andere, was ich delegieren kann, kannst du ja skalieren. Beispielsweise, wenn du ein Buch schreibst, muss man ja nicht verheimlichen. Ich konzipiere das Buch, ich sage, wo was rein soll und dann hast du Leute, die das vorrecherchieren und vielleicht sogar Passagen vorschreiben. Dann ziehst du noch drüber und schwupp steht das Buch. Ganz so simpel ist es nicht, aber so kannst du Bücher machen, YouTube-Videos, wie vorhin geschildert, die Skripte kriege ich ja fertig vorbereitet und mittlerweile ist es sogar so, dass ich die nochmal durch meine Anwälte vorchecken lasse. Auch da habe ich eine Schleife eingezogen, weil von den Jurastudenten manchmal Ungenauigkeiten reinkamen. Die habe ich dann reparieren müssen. Zu viel Aufwand für mich, einen Anwalt dazwischen geschaltet und jetzt habe ich diese Ungenauigkeiten nicht mehr drin oder beispielsweise mein Anwaltspostfach. Ich kriege 250 Mails am Tag etwa, aber jeden Abend ist mein Posteingang auf Null. Immer auf Null. Jeden Abend gehe ich ins Bett mit Null E-Mails im Posteingang. Warum? Weil ich alles weg delegiere...

Alisha: Das ist beneidenswert.

Christian:... oder sofort mache. Also ich delegiere alles weg oder mache es sofort. Es gibt kaum etwas, was ich nicht sofort machen kann. So klein habe ich Aufgaben geteilt. Es ist wirklich crazy geworden. Ich habe alle möglichen Bücher gelesen... wie heißt er? Timothy Ferriss, die Vier-Stunden-Woche. Oder wenn du es eilig hast, geh langsam von Lothar Seiwert oder Simplify Your Life von Tiki Küstenmacher. Das lese ich, seit ich Student bin. Alles so leichter, lockerer, einfacher und so. Komme ich dann vielleicht zu einer 50-Stunden-Woche, aber mehr auch nicht. Also das hält sich in Grenzen. Ich würde sagen, Work-Life-Balance stimmt. Im Moment ist viel zu tun, aber wir haben ein paar große Themen angeschoben, aber das wird auch wieder weniger werden.

Alisha: Ich nehme mir das mal mit. Also ich glaube, gerade die Personen, die viel zu tun haben und auch tendenziell in Führungspositionen sind, haben damit auf jeden Fall zu kämpfen und müssen sich definitiv angewöhnen, zu delegieren. Ich würde gerne noch mal einen Blick auf die werfen, die vielleicht noch nicht in der Position sind, vielleicht eher diejenigen, an die delegiert wird. Bei dir ist es ja so, dass deine verschiedenen Einflüsse, Berufswünsche und so weiter sich perfekt zusammengefügt haben. Deine Liebe zu Medien, das Jurastudium, das hat irgendwie alles Sinn ergeben. Du wolltest mal Journalist werden. Das bist du zwar in der Form nicht geworden, aber du bist schon sehr in den Medien aktiv. Also du hast es wirklich gut geschafft, die Dinge miteinander zu kombinieren. Was hast du für einen Tipp für andere Personen, die das möglicherweise noch nicht geschafft haben, für sich den passenden Beruf zu finden?

Christian: Ich würde wahrscheinlich erst mal anfangen, mir eine Liste machen und wirklich mit einem Stift Papier aufschreiben, was mir Spaß macht. Dann gibt es wahrscheinlich ganz, ganz viele Dinge und dann würde ich vermutlich dahinter Zahlen von 1 bis 10 schreiben und gucken, was macht mir besonders viel Spaß. Und dann habe ich vielleicht 30, 40 Dinge, da kann draufstehen Fußballspiel macht mir Spaß, da kann draufstehen Marketing macht mir Spaß, da kann draufstehen, ich habe mit Essen gerne zu tun, was auch immer. Und dann würde ich das gewichten, was einem besonders viel Spaß macht und dann würde ich schauen, ok, was hat die meisten Punkte bekommen und dann würde man wahrscheinlich schon so ein bisschen dahin kommen, was ist das für ein Beruf und wenn ich das sehe, in welchem Beruf das dann tendiert, würde ich, so wie ich damals beim Journalismus, als erstes mal mit dem Praktikum anfangen, mal da reinschnuppern, gucken, ob ich Leute kenne. Also das wäre schon das klassische, wie ich da auch vorgehen würde.


Outro

 

Alisha: Ja, ich glaube, das würde ich auch soweit unterschreiben, auf jeden Fall dem zu folgen, was einem gefällt, wofür man doch irgendwie brennt. Ich glaube, für viele ist es schwer, das für sich zu definieren. Aber wenn man irgendwo eine Leidenschaft entdeckt, dann lohnt es sich definitiv, ihr nachzugehen. Und das ist genau das, was du gemacht hast. Lieber Christian, ich bedanke mich für dieses Gespräch. Das war wie immer kurzweilig und spannend zu hören, wie ihr das bei euch macht, wie du deinen Weg gefunden hast. Und ich bin gespannt, wie viele Alarme ich in den nächsten Tagen noch bekommen werde. Wünsche dir einen wunderschönen Tag.

Christian: Danke, wünsche ich dir auch.


Laura Hörner-author-avatar-image
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Laura Hörner
Kulturwirtschaft Uni Passau

Als freie Autorin schreibt Laura Hörner bei TalentRocket über Themen rund um die juristische Karriere. Besonders interessiert sie sich dabei für die vielfältigen Karrierewege, die Jurist:innen offenstehen.