Welche Berufsaussichten haben Juristen ohne Prädikat?

Verfasst von Finn Holzky

Kein Jura Prädikat - Welche Möglichkeiten bleiben?

Welche Türen stehen Jurist:innen offen und wie sieht es mit dem Gehalt aus?

Erzählt man in seinem Bekanntenkreis, dass man Jura studiert, gibt es eigentlich nur zwei Reaktionen. Entweder wird man darauf angesprochen, ob man nicht Angst hätte Taxifahrer zu werden oder aber es kommen Bemerkungen hinsichtlich des ausstehenden Reichtums, den man als Jurist:in später zu erwarten habe.

Zugegeben, beide Ansichten mögen überspitzt sein – und doch spiegeln sie auf ihre Weise wider, wie in den Medien über Jurist:innen und ihre Gehälter gesprochen wird. Wie aber sieht es wirklich auf den Gehaltschecks von Juristen ohne Doppelprädikat, LL.M und Doktortitel aus?


Beginnen wir mit einer kleinen Ernüchterung: Die Spitzengehälter von über 100.000 Euro für Berufseinsteiger:innen sind ohne Prädikatsexamen nicht zu erzielen.

Hier landen nur die absoluten Spitzenkandidat:innen. Doch auch für prädikatslose Jurist:innen gibt es keinen Grund den Kopf in den Sand zu stecken.

Unbestritten bleibt: Jurist:innen sind und bleiben stark an ihre Examensnoten gebunden. Selbst nach vielen Jahren Berufserfahrung behalten die Abschlussnoten ein erstaunlich hohes Gewicht – ein Umstand, der dem juristischen Berufsbild nahezu ein Alleinstellungsmerkmal verleiht. Während in anderen Branchen die praktische Erfahrung mit der Zeit zunehmend wichtiger wird, bleibt in der Juristerei der Blick auf die Noten oft unverändert entscheidend.

So vielfältig die beruflichen Möglichkeiten ohne Prädikat auch sein mögen – im Studium sollte dennoch das Ziel eines Prädikatsexamens im Vordergrund stehen!

 

Ohne Prädikatsexamen zum Staat?

Der Staatsdienst ist für viele Absolvent:innen ein echter Berufswunsch. Jobsicherheit, solide Bezahlung und eine familienfreundliche Work-Life-Balance kommen der viel zitierten Generation Y und Z oft gerade recht. Doch wie stehen die Chancen für Jurist:innen ohne entsprechende Prädikatsexamina auf einen Job beim Staat?

In der Verwaltung gar nicht schlecht. Wer nicht gerade eine Karriere als Diplomat:in anstrebt und auch nicht zwangsläufig Leiter einer Bundes- oder Landesbehörde werden möchte, der hat im Staatsdienst durchaus Optionen, auch ohne Prädikat.

Die Stellenausschreibungen für Verwaltungsjurist:innen im höheren Dienst sind regelmäßig mit Noten aus dem Bereich „befriedigend“ ausgeschrieben. Ab durchschnittlich 6,5 Punkten können Jurist:innen hier also auf den ersehnten Job beim Staat hoffen.

Mehr Infos dazu: Jobchancen als Jurist im öffentlichen Sektor - Staatsnoten sinken

Doch auch die begehrtesten Positionen im Staatsdienst – etwa als Richter:in oder Staatsanwalt:in – sind mittlerweile nicht mehr ausschließlich den Jurist:innen mit Doppelprädikat zugänglich. Angesichts des steigenden Bedarfs wurden die Anforderungen nach und nach angepasst.

Selbst Notenhochburgen wie Hamburg sehen mittlerweile vor, dass auch Jurist:innen mit 8 Punkten im zweiten Staatsexamen für die Bewerbung zugelassen werden. Zudem rechnet der Staat, anders als die meisten Kanzleien, den universitären Schwerpunkt nicht aus den Examensnoten heraus.

Großkanzlei oder Boutique?

Der Weg in eine Großkanzlei oder eine hochspezialisierte Boutique gestaltet sich etwas schwieriger. Zwar wurden die Zugangshürden auch hier leicht gesenkt, doch ohne ein 'vollbefriedigend' gelingt der Einstieg nach wie vor nur in Ausnahmefällen.

Jedoch hat sich bei größeren Wirtschaftskanzleien die „zwei – aus – vier – Regel“ durchgesetzt. Ein fehlendes Prädikat kann hiernach durch eine Promotion oder einen LL.M ausgeglichen werden. Eines der beiden Examen muss jedoch nach wie vor mit vollbefriedigend (vb) bestanden worden sein und auch das Nichtprädikat darf nicht zu sehr abfallen.

Es gibt jedoch auch einen zweiten, wenn auch weniger planbaren Weg, den Einstieg in eine größere Kanzlei trotz fehlenden Prädikats zu schaffen. Es handelt sich dabei um Zusatzqualifikationen, die einen so hohen Wert haben, dass sie fehlende juristische Qualifikationen gänzlich ausgleichen können.

Als Beispiel sind hier seltene Fremdsprachenkenntnisse zu nennen. Viele größere Kanzleien haben verschiedene sogenannte "international desks", die mit Kanzleien und Unternehmen im Ausland zusammenarbeiten und hier Mandate akquirieren und begleiten.

Sprechen Bewerber:innen beispielsweise Chinesisch, so kann dies bei einer Kanzlei mit einer Ausrichtung auf den Chinesischen Markt durchaus zu einem Einstellungskriterium werden, obwohl der Kandidat ansonsten nicht in die nähere Auswahl gekommen wäre. Diese Fälle kommen jedoch sehr selten vor, sind sehr schwierig und vor allem kaum langfristig planbar.

Wir halten fest: Auch wenn der Einstieg in Großkanzleien oder Boutiquen ohne Doppelprädikat grundsätzlich möglich ist, stehen die Chancen ohne Prädikat insgesamt eher schlecht.

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Einstieg in eine mittelständische Kanzlei

Der typische Arbeitgeber für Jurist:innen mit soliden Noten aus dem befriedigenden Bereich sind mittelständische Kanzleien. Hier werden weniger spezialisierte Expert:innen benötigt, sondern gute Allrounder mit solidem juristischen Handwerk.

Die Aufgaben sind näher am Mandanten, und viele Mandate werden direkt von der zuständigen Anwältin oder dem zuständigen Anwalt akquiriert, betreut und durchgehend begleitet. Entsprechend kommen Soft Skills im direkten Umgang mit Mandant:innen eine deutlich größere Bedeutung zu – anders als in vielen Großkanzleien, wo der persönliche Kontakt eher selten ist.

Hier ergeben sich daher auch die Chancen für schwächere Absolvent:innen, mit anderen Fähigkeiten oder Zusatzqualifikationen zu punkten und Noten unterhalb des Prädikats verbauen die Karriere nicht mehr in diesem Ausmaß.

Zudem herrschen in mittelständischen Kanzleien häufig flachere Hierarchien, was es Mitarbeiter:innen ermöglicht, unabhängig von ihren Noten unternehmerischer zu handeln und eigenverantwortlich zu arbeiten. Dadurch eröffnen sich häufig schnellere Aufstiegschancen als in größeren Kanzleien, in denen Karrierewege meist in vorgegebenen Stufen stattfinden und nur bestimmten Kandidat:innen vergönnt sind.

In mittelständischen Kanzleien ist dafür in der Regel das Gehalt auch niedriger. Je nach Kanzleigröße und dem Mandantenstamm sind hier Einstiegsgehälter zwischen 49.500 und 100.000 Euro zu erwarten. Bei sehr kleinen Kanzleien sogar manchmal weniger, bei Kanzleien, die sehr große mittelständische Unternehmen vertreten oder die an der Grenze zur Großkanzlei stehen, können auch Gehälter bis zu 155.000 Euro brutto jährlich erzielt werden. Die Gehaltsspannen sind also auch in dieser Unterkategorie sehr schwankend.

Alternative Rechtsabteilung

Eine Option zu kleineren und mittelständischen Kanzleien sind die Rechtsabteilungen von Unternehmen. Der Trend Rechtsangelegenheiten und Personal wieder in die eigene Firma zu holen und somit die Rechtsabteilung zu vergrößern spielt Bewerber:innen hierbei in die Karten.

Neben soliden juristischen Fähigkeiten gewinnen auch Soft Skills wie Kommunikationsstärke in der Zusammenarbeit mit internen Abteilungen sowie betriebswirtschaftliche Kenntnisse an Bedeutung – stärker als in vielen Kanzleien.

Die Aufgaben sind dabei sehr vielfältig und je nach Branche ist das Gehalt regelmäßig auf dem Niveau entsprechender Kanzleien oder sogar darüber. Insbesondere die Finanz-, Chemie- und Pharmabranche zahlen häufig überdurchschnittlich hohe Gehälter.
 

Flucht in die Selbstständigkeit

Kommen diese Jobs nicht in Frage oder gibt der Stellenmarkt gerade keine interessanten Möglichkeiten, besteht für Jurist:innen immer noch die Möglichkeit in die Selbstständigkeit zu gehen und eine eigene Kanzlei zu eröffnen. Allerdings gestaltet sich dies oft sehr schwierig und selbstverständlich steht der Freiheit und der Möglichkeit zur Selbstverwirklichung stets ein hohes finanzielles Risiko gegenüber.

Auch bedarf es neben den juristischen Fähigkeiten eines unternehmerischen Talents und der Bereitschaft überdurchschnittlich viel zu arbeiten und zumindest am Anfang dabei in der Regel sehr wenig zu verdienen oder sogar draufzuzahlen.

Die Selbstständigkeit ist gerade für nicht so hoch qualifizierte Juristen eine heikle Angelegenheit und sollte daher sehr gut überdacht werden. Nicht selten scheitern Jurist:innen mit dem Versuch eine eigene Kanzlei zu eröffnen oder verdienen trotz höherem Arbeitsaufwand deutlich weniger als ihre Kolleg:innen in anderen Kanzleien.

 

Nach wie vor gilt: Ein Prädikat schadet nie. Dennoch sind ein oder zwei Punkte weniger noch lange kein Grund um aufzugeben. Selbst mit deutlich weniger Punkten gibt es immer noch viele offene Türen für Jurist:innen. Es empfiehlt sich daher den Stellenmarkt genau zu studieren und breit gefächert nach interessanten Stellenausschreibungen auf der Jobbörse TalentRocket Ausschau zu halten. Auch als Jurist:in ohne Prädikat gibt es ausreichend Jobs, die sowohl Spaß machen, als auch gut bezahlt werden!

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