Junger Anwalt in seinem Büro

Veröffentlicht am 01.07.2025

Kanzlei ohne Partner:innen? Das Ende juristischer Hierarchien

Ist der Partnerstatus noch zeitgemäß? Erfahre, warum sich Kanzleistrukturen wandeln und welche alternativen Karrierepfade für Jurist:innen entstehen

Partner werden oder nicht? In Zeiten flacher Hierarchien, technologischer Umbrüche und wachsender Flexibilität verliert das klassische Partnermodell an Strahlkraft. In diesem Artikel erfährst Du, welche neuen Karrierewege Dir heute offenstehen, wie Kanzleien umdenken und worauf Du bei Deinem Job achten solltest.

Der Partnerstatus als Auslaufmodell?

Noch vor wenigen Jahren galt der Partnerstatus in einer Kanzlei als Krönung der juristischen Karriere. Wer es „nach oben“ geschafft hatte, konnte sich über Einfluss, wirtschaftliche Teilhabe und Renommee freuen. Doch heute stellen sich viele erfahrene Rechtsanwält:innen eine andere Frage: Will ich überhaupt noch Partner:in werden bzw. passt das klassische Partnermodell noch in die heutige Zeit?

Flache Hierarchien, agile Teams und alternative Karrierepfade gewinnen zunehmend an Relevanz. Gleichzeitig geraten traditionelle Strukturen durch technologische Innovation, den Fachkräftemangel und veränderte Erwartungen von Nachwuchsjurist:innen unter Druck. Die klassischen Anreize wie ein höheres Gehalt, unternehmerische Beteiligung oder Einflussnahme auf strategische Entscheidungen verlieren für viele an Reiz, wenn sie mit ständiger Erreichbarkeit, dem Risiko einer körperlichen oder psychischen Überlastung und wenig privatem Spielraum erkauft werden müssen.

 

Vom Pyramidensystem zur runden Struktur: Warum das Partnermodell ausstirbt

Das traditionelle Kanzleimodell folgt einer klaren Pyramidenlogik: Viele Associates an der Basis, einige wenige Partner:innen an der Spitze - so zumindest das gängige Bild. Tatsächlich sieht die Realität anders aus. Schon im Jahr 2015 wurde laut einer Marktstudie nur noch rund die Hälfte der deutschen Kanzleien klassisch partnerschaftlich geführt. Der Rest setzt auf hybride oder unternehmensähnliche Strukturen mit Management-Boards und klaren Aufgabenverteilungen. Die Gründe für den Wandel des klassischen Pyramidensystems in Kanzleien sind vielschichtig und eng miteinander verknüpft.

Einer der zentralen Faktoren ist die Trägheit von Entscheidungsprozessen in traditionell partnerschaftlich geführten Sozietäten. Wenn Dutzende gleichberechtigte Partner:innen bei jeder strategischen Frage ein Mitspracherecht haben, verlangsamt sich die Entscheidungsfindung erheblich. Gerade in einem Marktumfeld, das schnelle Reaktionen auf Mandantenerwartungen, regulatorische Änderungen oder technologische Entwicklungen verlangt, wird diese Langsamkeit zunehmend zum Problem. Veränderung wird nicht selten durch internen Konsensdruck ausgebremst.

Gleichzeitig steigt die Komplexität der Anforderungen, mit denen moderne Kanzleien konfrontiert sind. Mandant:innen erwarten heute mehr als nur juristische Exzellenz. Sie fordern Effizienz, ein klares Projektmanagement, technisches Know-how und die Fähigkeit, interdisziplinär zu arbeiten. Auch die eigenen Mitarbeiter:innen setzen auf Transparenz, Entwicklungsmöglichkeiten und innovative Arbeitsmethoden. Dies alles lässt sich mit althergebrachten Strukturen kaum noch realisieren. Professionalisierte Führungsstrukturen mit klar verteilten Zuständigkeiten, Rollen und Prozessen werden daher zur Notwendigkeit.

In der Folge etablieren immer mehr Kanzleien neue Rollen, die strategische Leitung und juristische Arbeit voneinander trennen. Statt sämtliche Verantwortung bei den Equity Partnern zu bündeln, entstehen spezialisierte Funktionen wie Legal Directors, Practice Leader oder (Legal) Operations Manager. Diese Rollen ermöglichen eine gezieltere Personalentwicklung, schaffen alternative Karrierewege und fördern ein modernes Verständnis von Führung und Organisation.

Nicht zuletzt spielt auch die technologische Disruption eine treibende Rolle im Wandel der Kanzleistrukturen. Legal Tech verändert sowohl die Arbeitsweise als auch die Teamzusammensetzung. Viele standardisierbare Aufgaben können inzwischen automatisiert oder ausgelagert werden, wodurch sich die klassische Form der Mandatsbearbeitung grundlegend verschiebt. Der zunehmende Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI), etwa zur Recherche, Dokumentenanalyse oder Vertragsprüfung, wird von Mandant:innen und Jurist:innen gleichermaßen erwartet und beeinflusst die täglichen Abläufe ebenso wie die strategische Ausrichtung. Damit verbunden ist ein Umdenken in Bezug auf Hierarchien und Geschäftsmodelle, denn klassische Aufstiegslogiken verlieren in einem technologisch getriebenen Umfeld zunehmend an Bedeutung.

Schon im Jahr 2015 wurde laut einer Marktstudie nur noch rund die Hälfte der deutschen Kanzleien klassisch partnerschaftlich geführt.

Von der Kanzlei-Pyramide zum "Kanzlei-Stein"

Nicht alles hiervon ist unbedingt neu. Schon im Jahr 2016 skizzierte eine Studie ein neues Kanzleimodell, das nicht mehr der klassischen Pyramidenform, sondern eher einem flachen Stein ähnelt. Anstelle eines hohen Verhältnisses von Associates zu Partner:innen (sog. „Leverage“) setzen Kanzleien zunehmend auf Automatisierung und Outsourcing, um den Personalbedarf auf den unteren Ebenen gezielt zu reduzieren. Gleichzeitig wird das Team um nicht-juristische Spezialist:innen ergänzt, etwa Legal Engineers, Projektmanager:innen oder Business Analysts. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit verändert die Rollenverteilung und reduziert die Notwendigkeit des klassischen pyramidenförmigen Karrierepfads.

Das Resultat eines solchen flachen Hierarchiemodells ist, dass Entscheidungen schneller getroffen, Aufgaben klarer verteilt und Mitarbeitende individueller gefördert werden können. Das wiederum steigert die Zufriedenheit und senkt die Fluktuation als nicht zu unterschätzender Faktor in einem Markt, in dem Talente Mangelware sind.

Wie diese neuen Organisationsformen konkret mit zeitgemäßen Arbeitsstrukturen zusammenspielen, beleuchtet auch der Beitrag „Ist New Work in der Großkanzlei überhaupt möglich?“.

 

Warum junge Jurist:innen keine Partner mehr werden wollen

Die Denkweise der neuen Jurist:innengeneration unterscheidet sich grundlegend von der ihrer Vorgänger:innen. Zwar planen laut einer aktuellen Studie rund 75 % der Associates, auch in den kommenden fünf Jahren in der Kanzleienwirtschaft zu bleiben, doch nur ein Bruchteil von ihnen verfolgt noch aktiv das Ziel, Partner:in zu werden.

Stattdessen haben sich die Prioritäten verschoben. 
Die Work-Life-Balance spielt eine zentrale Rolle: Kaum jemand ist heute noch bereit, über Jahre hinweg 70-Stunden-Wochen zu leisten oder das Privatleben dauerhaft der Karriere unterzuordnen. 
Flexibilität spielt  eine weitere, wichtige Schlüsselrolle, derer sich Arbeitgeber bewusst sein müssen. Homeoffice, Remote-Arbeit und individuelle Teilzeitlösungen gelten lange nicht mehr als Sonderwünsche, sondern als selbstverständliche Rahmenbedingungen.
 
Auch der Wunsch nach sinnstiftender Arbeit ist spürbar gestiegen. Viele, insbesondere junge Jurist:innen, suchen gezielt nach Arbeitgebern, die gesellschaftlich relevante Themen aufgreifen, zum Beispiel im Bereich Menschenrechte, Nachhaltigkeit, Gleichstellung oder digitaler Ethik. Gleichzeitig erwarten sie, schnell Verantwortung übernehmen zu dürfen, an wichtigen Entscheidungen beteiligt zu werden und die Wirkung ihrer Arbeit unmittelbar zu erleben. 

Kanzleien, die auf diese veränderten Erwartungen nicht eingehen und den Wandel ignorieren, laufen Gefahr, ihre Talente an flexiblere Wettbewerber oder alternative Karrierewege zu verlieren. Die Einführung neuer Rollen und Karrierepfade ist deshalb nicht nur ein Zeichen moderner Personalpolitik, sondern längst ein strategischer Erfolgsfaktor im Kampf um die besten Köpfe.

Neue Karrieremodelle für Anwält:innen: Karriere ohne Partnerstatus?

Viele Jurist:innen fragen sich heute: Was bringt mir der Partnerstatus eigentlich noch? 
Die Vorteile sind nicht von der Hand zu weisen, aber sie kommen zu einem Preis, den viele Jurist:innen nicht mehr bereit sind, zu zahlen. Partner:innen tragen wirtschaftliches Risiko, müssen Mandate akquirieren und stehen unter permanentem Erfolgsdruck. Gleichzeitig verschieben sich die Lebensvorstellungen vieler Berufsträger:innen mit der Zeit. Der Aufbau einer eigenen Familie, Pflege von Angehörigen oder der Wunsch nach persönlicher Entfaltung treten dabei stärker in den Vordergrund.

Alternative Karrieremodelle, die wir Dir im Folgenden gerne zeigen wollen, eröffnen erfahrenen Jurist:innen neue Perspektiven jenseits des traditionellen Partnertracks. 

Sog. „Fixed-Share Partnerships“ bieten eine unternehmerische Teilhabe am Erfolg der Kanzlei, ohne die volle wirtschaftliche Verantwortung übernehmen zu müssen. Ein solches Modell ist besonders für Jurist:innen attraktiv, die zwar strategisch mitgestalten wollen, aber nicht das unternehmerische Risiko einer Equity-Partnerschaft tragen möchten. Daneben gewinnt die Rolle des Legal Directors an wesentlicher Bedeutung. Hier steht die fachliche Exzellenz im Mittelpunkt, was ein hohes Maß an Einfluss auf die inhaltliche Arbeit und Mandatsstrategie bietet, jedoch ohne Verpflichtungen im Bereich Business Development oder Personalführung übernehmen zu müssen. 
In vielen internationalen Kanzleien hat sich außerdem der sogenannte „Professional Attorney“-Track etabliert, der eine juristische Karriere mit hoher fachlicher Anerkennung ermöglicht, ohne dabei wirtschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Dieses Modell kommt vor allem Spezialist:innen entgegen, die sich auf die Tiefe statt die Breite ihrer Expertise konzentrieren wollen. 
Ergänzt werden diese Ansätze durch sog. „Switch on/Switch off-Modelle“, die erfahrenen Rechtsanwält:innen die Möglichkeit geben, ihre Arbeitszeit temporär zu reduzieren und zu einem späteren Zeitpunkt wieder in Vollzeit zurückzukehren. Für Eltern kleiner Kinder oder Jurist:innen, die gezielt Auszeiten für persönliche Projekte oder Erholung einplanen wollen, stellt dies eine optimale Alternative zum klassischen Vollzeitmodell dar.
Zusammen zeigen diese Modelle, dass eine erfolgreiche Kanzlei-Karriere heute nicht zwingend an den klassischen Partnerstatus gekoppelt sein muss. Vielmehr bieten sich teilweise flexible Wege, um beruflichen Erfolg mit individueller Lebens- und Zukunftsplanung, Entwicklungsfreiräumen und mentaler Gesundheit in Einklang zu bringen.

 

Aufstieg ohne Burnout: Arbeitszeitmodelle in der Transformation

Auch der klassischen „Billable Hour“ („abrechenbare Stunde“) steht man zunehmend skeptisch gegenüber. Kritiker:innen sind der Meinung, sie  förderten Überstunden, belohnen ineffizientes Arbeiten und machen Innovation unattraktiv. Rund 60 % der Kanzleien in Europa erwarten laut einer Studie aus dem Jahr 2024, dass künftig weniger Stunden abgerechnet werden können, weswegen sie vermehrt auf alternative Abrechnungsmodelle setzen.

Dazu zählen beispielsweise:

  • Pauschalhonorare für bestimmte Leistungen.
  • Flatrates für wiederkehrende Mandate.
  • Abonnementmodelle für Unternehmensmandanten.
  • Ergebnisorientierte Honorierung bei klaren Zielvereinbarungen.

Parallel dazu entstehen neue Arbeitszeitmodelle, die von reduzierten Zielstunden (z.B. 1.600 statt 1.900 Stunden pro Jahr) bis hin zu Blockfreizeiten und Jahresarbeitszeitkonten reichen. Besonders spannend: Auch auf Partnerebene werden diese Modelle vermehrt genutzt. So können erfahrene Rechtsanwält:innen in Spitzenzeiten hochfahren, während sie sich in ruhigeren Phasen Freiräume nehmen können. Ein effektives Mittel also für die mentale Gesundheit und ein starkes Signal an die Belegschaft, dass Work-Life-Balance nicht nur auf dem Papier existiert.

 

Leadership ohne Partnerstatus: Wer führt eigentlich wen?

Früher galt der klassische Grundsatz: Wer Partner:in ist, führt. Doch diese Gleichung geht immer seltener auf. Führung wird zunehmend als Kompetenz verstanden und weniger als Status. Und so entstehen in vielen modernen Kanzleien inzwischen Rollen, die klassische Führung neu definieren und vom Partnerstatus entkoppeln.

Beispielsweise übernehmen Team Leads operative Verantwortung im Tagesgeschäft und koordinieren die Abläufe innerhalb einzelner Teams oder Projekte. Parallel dazu gibt es sogenannte Practice Group Heads, die für die fachliche Entwicklung innerhalb bestimmter Rechtsgebiete verantwortlich sind. Sie sorgen dafür, dass Know-how aufgebaut, weitergegeben und strategisch eingesetzt wird, unabhängig von wirtschaftlicher Beteiligung. Auf der nächsthöheren Ebene treten zunehmend Funktionen wie Chief Operating Officer (COO) oder Chief Innovation Officer (CINO) in Erscheinung. Diese Positionen sind meist strategisch angelegt und kümmern sich um die Weiterentwicklung der Kanzlei durch Digitalisierung, Prozessoptimierung oder neue Mandatsmodelle.

Diese Positionen sind oft besetzt mit Persönlichkeiten, die nicht zwingend Partner:innen sind, aber dennoch entscheidende Führungsaufgaben übernehmen. Das erhöht die Vielfalt im Bereich Legal Leadership und ermöglicht es, die besten Köpfe für die jeweiligen Aufgaben zu gewinnen, unabhängig vom juristischen Status oder wirtschaftlicher Beteiligung.

Was bedeutet dieser Wandel für Deine Kanzlei-Karriere?

Wenn Du aktuell über einen Jobwechsel nachdenkst, solltest Du dir bewusst machen: Es geht nicht nur um Positionen oder Gehälter, sondern um die Philosophie einer Kanzlei. Wer bietet dir die Strukturen, die zu deinem Lebensentwurf passen?

Diese Fragen helfen dir bei der Einschätzung:

  • Wie sieht die Führungsstruktur aus? Gibt es echte Alternativen zum Partnerstatus
  • Welche Arbeitszeitmodelle werden gelebt und nicht nur beworben?
  • Wie hoch ist die technologische Reife der Kanzlei? Wird Legal Tech strategisch und aktiv genutzt?
  • Wie wird Entwicklung gefördert? Gibt es Coaching, Feedback, Weiterbildung?
  • Wie modern ist die Teamstruktur? Wird interdisziplinär gearbeitet?

 

Fazit: Die Zukunft der Großkanzleien ist nicht hierarchiefrei – aber offen

Die Zukunft der Großkanzleien wird von Vielfalt geprägt sein. Das klassische Partnermodell bleibt zunächst erhalten, jedenfalls als eine Option unter vielen. Flachere Hierarchien, neue Rollenbilder und flexible Arbeitsmodelle sorgen dafür, dass Jurist:innen ihre Karriere individueller gestalten können.

Für erfahrene Berufsträger:innen bedeutet das: Der nächste Karriereschritt muss nicht automatisch „Partner:in“ heißen. Er kann auch „Legal Director“, „Head of Legal Tech“ oder „Of Counsel“ lauten und dabei genau das bieten, was man sich unter einem erfüllten Berufssleben vorstellt.