Oliver Islam bei den New Lawyers

Verfasst von Laura Hörner|Veröffentlicht am 19.01.2022

„Die Gesellschaft wählt die Führungsetage nach den Eltern aus“

Rechtsanwalt Oliver Islam zu Gast bei den New Lawyers

70% Jura, 30% Organisation: So beschreibt Rechtsanwalt und Vorstandsmitglied des Hamburgischen Anwaltsvereins Oliver Islam seine Arbeit bei der Großkanzlei Noerr. Er ist Teil der Praxisgruppe Prozessführung, Schiedsverfahren und Alternative Dispute Resolution und spricht mit Alisha Andert in dieser Ausgabe des New Lawyers Podcast von TalentRocket über die Arbeit in der Großkanzlei, die Rolle der Anwaltschaft in der Gesellschaft, juristische Bildungsaufsteiger und beantwortet die Frage, welche Fähigkeit er gerne über Nacht lernen möchte.

 

Es gibt viele Vorurteile gegenüber Großkanzleien: Eine extreme Arbeitsbelastung, wenig Diversität und stark ausgeprägte Hierarchien werden praktisch mit der Arbeit bei den Big Playern gleichgesetzt. Auch im Umfeld von Oliver Islam spiegeln sich davon einige Aspekte wider – zum Beispiel der Mangel an Frauen in der Führungsetage. Bestrebungen nach Verbesserung gibt es seiner Meinung nach auf jeden Fall: Diese hingen hauptsächlich von den Beteiligten ab. So achtete er zum Beispiel bei seinen Vorstellungsgesprächen auf eine Duz-Kultur und flache Hierarchien. Auch diversere Führungsetagen sieht er dank des großen Zuwachses an Juristinnen als eine wahrscheinliche Entwicklung an.

Kanzleien werden familienfreundlicher – aber es gibt Luft nach oben

Als Vater von zwei Kindern konnte Islam auch selbst von den positiven Veränderungen in der Kanzleiwelt profitieren. Er selbst ist der erste an seinem Standort, der bei Noerr in Elternzeit geht, momentan arbeitet er in Elternteilzeit – in seinem Fachbereich, Litigation, sei dies besonders gut umsetzbar gewesen, da er dort im Gegensatz zu manch anderen Fachbereichen langfristig und flexibel planen kann. Zudem hebt er eine vorbildliche Regelung in seiner Kanzlei hervor: Dort darf bei einem Jahr Elternauszeit kein Förderungsnachteil entstehen.

Solche neue Richtlinien führen seiner Meinung nach nicht nur zu einem besseren Arbeitsklima und Personalentwicklung (in der Elternzeit lerne man zahlreiche Soft Skills), sondern sie könnten auch ein wichtiges Instrument für Kanzleien sein, um Fachkräfte anzulocken. „Hoffentlich gibt es einen Wettbewerb unter den Kanzleien, wer am familienfreundlichsten ist“, sagt er. Auch wenn man von einem guten Zustand für alle noch weit entfernt sei, stimme auf jeden Fall die Richtung.

Mitverantwortlich für diese Entwicklungen ist laut Oliver Islam die Tatsache, dass die neue Anwaltsgeneration kleiner ist als die der Babyboomer, die langsam den Platz verlassen. Dazu komme eine Mentalität, Dinge einzufordern, sowie mehr Wahlmöglichkeiten aus gut bezahlten Jobs mit geringerer Arbeitsbelastung, die mehr Druck auf Kanzleien ausüben.

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Bildungsaufsteiger:innen werden oft übersehen

Wenn Oliver Islam von seiner Arbeit bei der Kanzlei Noerr spricht, hört man seine Begeisterung heraus: In seinem Arbeitsalltag schätzt er die Möglichkeit, an vielen unterschiedlichen Projekten mitzuwirken. Besonders viel Freude bereitet ihm die entspannte Zusammenarbeit mit seinem jungen und engagierten Team, mit dem er dieselben Interessen teilt und gemeinsam feiern kann.

Wichtig ist Islam, dass in der Ausbildung und der Karriere Chancengleichheit besteht. Um diese zu unterstützen, ist er Teil der Arbeitsgruppe Vielfalt/Diversity bei Noerr, welche seit dem Wintersemester 2021 in Zusammenarbeit mit dem Deutschlandstipendium das Noerr Diversity Stipendium an fünf Studierende der Rechtswissenschaften an der Leibniz Universität Hannover vergibt – nach den Kriterien der sozialen Bedürftigkeit, dem sozialen Engagement sowie des Bildungsaufstiegs. Islam betont, dass das Thema Bildungsaufstieg nicht genug Beachtung findet, worunter nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Volkswirtschaft im Ganzen leidet, da viel Potenzial verschenkt werde. „Wir könnten deutlich bessere Führungseliten haben, wenn man sie nicht nur aus einem Teil der Bevölkerung rekrutiert“, sagt er. Arbeiterkinder hätten zum Beispiel oft keine Vorbilder und würden Vorteile wie eine kostenlose Bildung oder Bafög nicht ideal ausnutzen.

Wir könnten deutlich bessere Führungseliten haben, wenn man sie nicht nur aus einem Teil der Bevölkerung rekrutiert.
- Oliver Islam

Zum Abschluss des Gesprächs geht es schließlich um Islams Tätigkeit im Hamburgischen Anwaltsverein. Auf die Frage hin, welche Rolle die Anwaltschaft in der Gesellschaft spielt, hebt er ihre Fähigkeit der Schaffung von Rechtsfrieden hervor – in Deutschland sei dies im Gegensatz zu anderen Ländern eine Selbstverständlichkeit. Verbessern könnte sich seiner Meinung nach noch die Herangehensweise an Pro Bono Arbeit, ganz nach dem Vorbild USA, was auch hierzulande das Potenzial hätte, das Image der Anwaltschaft zu verbessern. Verbesserungspotenzial sieht er auch in der digitalen Transformation: Hier ist seiner Meinung nach eine Reform nötig, die mehr Möglichkeiten für die Nutzung von digitalen Tools eröffnen soll.

Du möchtest mehr über die Arbeit in der Großkanzlei und das Thema Bildungsaufstieg erfahren? Dann höre doch einmal in diese Folge unseres Podcasts rein und verfolge die spannende Diskussion mit Oliver Islam!

Die Themen dieser Folge im Überblick:

 

  • Ab 01:52: Die Icebreaker Frage
  • Ab 04:13: Wie sieht dein Arbeitsalltag in der Litigation aus? Stimmen die Vorurteile gegenüber Großkanzleien?
  • Ab 09:05: Als Mann in Elternzeit: Gibt es Veränderungen in der Kanzleiwelt?
  • Ab 14:15: Nimmt die jüngere Generation Einfluss auf die Entwicklung in der Kanzleiwelt?
  • Ab 17:19: Was magst du an deinem Job besonders gerne?
  • Ab 19:10: Das Noerr Diversity Stipendium
  • Ab 23:17: Welche Herausforderungen haben Bildungsaufsteiger?
  • Ab 26:55: Welche Rolle spielt die Anwaltschaft in unserer Gesellschaft?
  • Ab 32:09: Digitale Transformation: Was muss hier passieren?

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Laura Hörner
Kulturwirtschaft Uni Passau

Als freie Autorin schreibt Laura Hörner bei TalentRocket über Themen rund um die juristische Karriere. Besonders interessiert sie sich dabei für die vielfältigen Karrierewege, die Jurist:innen offenstehen.