2. Weswegen wird bestraft?
Das materielle Wirtschaftsstrafrecht beinhaltet zum einen bekannte Delikte aus den Bereichen Betrug, Untreue oder Geldwäsche sowie zum anderen speziell wirtschaftsstrafrechtliche Delikte in spezifischen Rechtsbereichen wie etwa dem Kapitalmarktrecht.
a) Die Untreue nach § 266 StGB
Fasziniert dich die Kombination aus einem Verständnis für unternehmerische Entscheidungen und der juristischen Argumentationsspielwiese, so hält das Delikt der Untreue einige interessante Aspekte bereit. Bereits auf Tatbestandsebene besteht in Gestalt des normativen Merkmals der Vermögensbetreuungspflichtverletzung ein breiter Argumentationsspielraum, den es sowohl auf Ermittlungs- sowie auf Verteidigungsseite mit Leben zu füllen gilt. Dabei stellt sich die Frage, wie weit das rechtliche Dürfen der handelnden Person reicht, sprich ab wann eine Pflichtverletzung vorliegt.
Ein prominentes Beispiel für das Hin- und Her der Argumente wird durch die Diskussion rund um die deutsche „Ausländermaut“ und damit einhergehend der Strafbarkeit des damaligen Bundesverkehrsministers verdeutlicht. Der Bund steht einer Schadensersatzforderung in Höhe von 243 Mio. Euro entgegen, da die Maut wegen ihrer Europarechtswidrigkeit nicht durchgeführt werden konnte, wenngleich entsprechende Verträge durch Herrn Scheuer bereits abgeschlossen waren. In diesem Zusammenhang kann man sich fragen, inwieweit Regierungsmitglieder solche Risikogeschäfte abschließen dürfen, insbesondere mit Blick auf die Vermögensinteressen der Steuerzahlenden.
Eine durch den BGH bestätigte Untreuestrafbarkeit besteht dagegen bei der Gewährung millionenschwerer Prämienzahlungen an Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft. Dabei droht die Strafbarkeit nicht nur den Vorstandsmitgliedern, die eine Vermögensbetreuungspflicht trifft, sondern über die Beihilfestrafbarkeit ebenso anderen Unternehmensmitgliedern, sofern die Voraussetzungen nach § 27 StGB vorliegen.
b) Der Bankrott nach § 283 StGB
Dem im Jura-Studium eher nur am Rande auftauchenden Delikt des Bankrotts kommt in der wirtschaftsstrafrechtlichen Praxis erheblich größere Bedeutung zu. Medial gewinnt das Delikt ebenso an Aufmerksamkeit, unter anderem durch die Verurteilung im sogenannten Schleckerprozess. Die Wirtschaftsstrafkammer des LG Stuttgart verurteilte Anton Schlecker unter anderem wegen vorsätzlichen Bankrotts, da er überhöhte Stundensätze an eine faktisch von seinen eigenen Kindern geführte Logistikfirma und Geldgeschenke in erheblicher Höhe an seine Enkelkinder auszahlte, nachdem er erkannte, dass dem Unternehmen Schlecker die Insolvenz drohte.
Dies stellt aus juristischer Sicht ein Paradebeispiel für den Bankrott nach § 283 StGB dar. Gerät ein Unternehmen in eine wirtschaftliche Krise, so verlagert sich der Fokus der Unternehmensführung regelmäßig auf die Abwehr der Liquidation des Unternehmens. Ist in dem Zusammenhang sogar ein Insolvenzverfahren aufgrund der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO bereits eröffnet, zielt das deutsche Insolvenzrecht darauf ab, die noch verbleibenden Gläubiger des Unternehmens anteilsmäßig zu befriedigen.
Der Straftatbestand des § 283 StGB soll verhindern, dass die verfügbare Insolvenzmasse unzulässigerweise geschmälert wird und die Gläubiger schließlich mit einer geringeren oder sogar ausbleibenden Befriedigung konfrontiert sind. Strafbares Verhalten ist insbesondere das Beiseiteschaffen von Vermögensbestandteilen im Falle einer Überschuldung oder bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit. In der Praxis wird es häufig darauf ankommen, ob im Zeitpunkt der Transaktion eine Zahlungsunfähigkeit vorlag oder drohte.
Für die Feststellung können unter Umständen bereits das Vorhandensein von Mahn- und Vollstreckungsbescheiden, die Nichtabfuhr von Sozialversicherungsbeiträgen oder das Vorliegen von Pfändungsaufträgen ausreichend sein. Zu beachten ist hierbei, dass nur Schuldner:innen taugliche Täter:innen im Sinne des § 283 StGB sind. Für Unternehmen bedeutet dies, dass sich über § 14 Abs. 1 StGB regelmäßig das vertretungsberechtigte Organ/die vertretungsberechtigten Gesellschafter:innen strafbar machen.
c) Straftaten nach dem Wertpapierhandelsgesetz
An der Börse innerhalb kurzer Zeit hohe Gewinne verzeichnen – das kann zum einen, wer den nötigen Funken Glück besitzt und zum anderen, wer über Insiderinformationen verfügt. Was der Film „Wolf of Wall Street“ eindrucksvoll und mitreißend in amerikanischer Unterhaltungsform darstellt, ist auch in Deutschland in wirtschaftsstrafrechtlichen Verfahren längst Alltag unter dem Titel „Kapitalmarktstrafrecht“.
Kennzeichen des Kapitalmarktes ist die Umwandlung von Gütern, Waren oder Geld in anderes Kapital. Das geschieht etwa durch den Ankauf von Aktien oder die Investition in andere Währungen (z.B. Bitcoins) oder Güter (z.B. Gold). Regelmäßiges Ziel der Anleger:innen ist dabei eine Wertsteigerung des neu erworbenen Kapitals, die grundsätzlich durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage zustande kommt.
Aufgrund der Komplexität des Kapitalmarktes haben sich hingegen diverse andere Verhaltensweisen als gewinnbringend erwiesen, die jedoch nur bedingt legal sind. Hierzu zählt beispielsweise der nach § 119 WpHG unzulässige Insiderhandel. Darunter versteht man den Missbrauch interner Informationen zum Zwecke von gewinnbringenden Börsengeschäften. Dabei haben Täter:innen einen Wissensvorsprung über das beabsichtigte Verhalten eines Unternehmens und können auf dieser Basis durch ihr Kaufverhalten den Kurs oder gar den gesamten Markt stark beeinflussen. Dieses Verhalten widerspricht dem allgemeinen Wunsch nach Chancengleichheit zwischen den Anleger:innen sowie einer allgemeinen Funktionsfähigkeit des Marktes und stellt deshalb eine Ordnungswidrigkeit dar. Führt das Verhalten darüber hinaus zu einem Erfolg in Form eines tatsächlichen Einwirkens auf den Marktpreis, so ist der Straftatbestand des § 119 WpHG verwirklicht.
Der Begriff der Marktmanipulation umfasst jedoch deutlich mehr marktbezogene Verhaltensweisen als nur den Insiderhandel. Aufgrund der permanenten Weiterentwicklung der Materie, unter anderem infolge der voranschreitenden Digitalisierung, stellt er ein spannendes Arbeitsfeld dar. Sowohl bei deiner Tätigkeit in der Anwaltschaft als auch bei der Justiz erwarten dich herausfordernde Fragestellungen. Dabei wird es für dich darum gehen zu beurteilen, ob ein bestimmtes neuartiges Verhalten auf dem Markt strafbar ist. Innerhalb deiner Subsumtion musst du nun die Funktionsweise des Kapitalmarktes berücksichtigen und bist dadurch in jedem Fall vielfältig beschäftigt.
Mit diesem groben Überblick mit Bezugnahme zu medial prominenten Fällen konnten wir natürlich nicht sämtliche materiell-rechtlichen Inhalte im Wirtschaftsstrafrecht abdecken und wollen dich daher primär auf die spannende Vielfältigkeit des Rechtsgebiets aufmerksam machen. Phänomene wie Whistleblowing, diverse Betrugskonstellationen, Produkthaftungsdelikte und vieles mehr können ebenfalls Bestandteil des Arbeitstags im Wirtschaftsstrafrecht sein.