Lächelnder Mann

Veröffentlicht am 11.04.2024

Das Wirtschaftsstrafrecht: Dogmatik, Schlüsseldelikte und Compliance

Von rechtlichen Definitionen bis hin zur Tätigkeit in dem Fachbereich

Die Serie „White-Collar“ oder der Film „The Wolf of Wall Street“ erwecken bei Zuschauer:innen schnell den Eindruck, nun eine Vorstellung vom Wirtschaftsstrafrecht erhalten zu haben. Wie viel mehr jedoch – selbst für Volljurist:innen – dahintersteckt und was dich in der Praxis erwarten könnte, zeigen wir dir hier.

Die schwierige Suche nach einer Definition des Begriffs „Wirtschaftsstrafrecht“


Ein hoher Schadensbetrag in Verbindung mit einem oder mehreren Unternehmen bilden regelmäßig die Basis für eine Schlagzeile im Bereich der sogenannten Wirtschaftskriminalität.

Was journalistisch einfach zu fassen ist, bleibt allerdings juristisch schwer zu umgrenzen, denn eine einheitliche Definition des Wirtschaftsstrafrechts existiert nach wie vor nicht. Vielmehr versucht sich die Wissenschaft diesem Bereich über kriminologische, strafprozessuale sowie strafrechtsdogmatische Ansätze zu nähern.

Aus kriminologischer Perspektive wird versucht, das Wirtschaftsstrafrecht über täter- oder tatbezogene Anknüpfungspunkte zu definieren. Ein bekannter täterbezogener Ansatz spiegelt sich im Begriff „white-collar-crime“ wider (zu deutsch: „Weißer-Kragen-Verbrechen“).  Denn Wirtschaftsstraftaten würden nach Sutherland von Personen mit sozialem Ansehen und hohem sozialen Status während ihrer beruflichen Tätigkeit begangen. Der Begriff „corporate crime“ hingegen nimmt das Unternehmen in den Fokus – umfasst sind demnach Straftaten, die Unternehmen oder Unternehmensangehörige zum Nutzen des Unternehmens begehen

Die Strafrechtsdogmatik geht von den Folgen der Wirtschaftskriminalität und insbesondere dem geschädigten Rechtsgut aus. Wirtschaftsstraftaten bewirken zwar hohe materielle Schäden, gleichzeitig werden aber Staat und Gesellschaft insgesamt geschädigt, indem das Vertrauen in die Seriosität der Wirtschaft tangiert wird. 

Pragmatischer erscheint der Ansatz des Gesetzgebers, der in § 74c GVG bestimmte Straftaten der Zuständigkeit einer Wirtschaftsstrafkammer zugewiesen hat. Hierzu zählen beispielsweise Straftaten des Subventionsbetrugs, des Kreditbetrugs oder etwa der Verletzung der Buchführungspflicht, denn bei allen sollen nach Ansicht des Gesetzgebers Spezialkenntnisse aus dem Bereich der Wirtschaft erforderlich sein. Dieser Ansatz wird auch für deine Tätigkeit im Wirtschaftsstrafrecht relevant sein.

Zum einen ist er nämlich aus Verteidigungssicht zu berücksichtigen, wenn es um die Frage geht, welcher Spruchkörper des Gerichts tatsächlich zuständig ist. Hierbei wirst du wegen § 74c Abs. 1 Nr. 6 GVG unter Umständen begründen müssen, weshalb der Fall besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens erfordert. Gleiches gilt für deine Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft als Anklagebehörde.

Strafbarkeit im Wirtschaftsstrafrecht: Wer, weshalb und wie?

Das Wirtschaftsstrafrecht kennzeichnet sich durch eine Menge spannender juristischer Besonderheiten. Zum einen ist es in Anbetracht der anhaltenden Diskussion rund um das Thema „Verbandsstrafrecht“ politisch hochaktuell und wirft interessante Fragen im Bereich der Schuldfähigkeit auf.

Nach noch herrschender Meinung wird Unternehmen die Schuldfähigkeit nämlich abgesprochen – mit dem Argument, dass diesen im Einklang mit dem Grundsatz „Societas delinquere non potest“ nicht vorgeworfen werden kann, rechtswidrig gehandelt zu haben. Denn sie könnten sich nicht wie ein Mensch für das Recht und gegen das Unrecht auf Grundlage einer freien Selbstbestimmung entscheiden.

Dass Unternehmen dennoch nicht gänzlich ohne Sanktion davonkommen, wie es parallel um die handelnden leitenden Vertreter steht und mit welchen Straftaten du in der wirtschaftsstrafrechtlichen Praxis rechnen könntest, soll im Folgenden auszugsweise dargestellt werden.
 

1. Wer wird bestraft im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts?

Dass der VW-Konzern manipulierte Dieselmotoren auf den Markt brachte, ist mittlerweile unbestritten. Nichtsdestotrotz gestaltet sich die Suche nach einem strafrechtlich Verantwortlichen in Deutschland äußerst schwierig – denn das deutsche Strafrecht sieht es aktuell nicht vor, das Unternehmen schlicht selbst zu bestrafen. Ein dahingehender Versuch der Einführung eines Verbandssanktionengesetzes scheiterte, sodass in Deutschland, anders als beispielsweise in den USA, Unternehmen nicht strafrechtlich verantwortlich gemacht werden können. 

Daraus folgt jedoch kein straffreier Raum. Eine Strafbarkeit kann sich zum einen daraus ergeben, dass eine natürliche Person im Unternehmen bereits durch ihr eigenes Handeln Täter:in im Sinne des § 25 Abs. 1 Alt. 1 StGB geworden ist, da sie selbst die Pflicht für das Unternehmen zu erfüllen hat. Das ist beispielsweise mit Blick auf die Untreuestrafbarkeit nach § 266 StGB der Fall, wenn die handelnde Person eine Vermögensbetreuungspflicht trifft und diese verletzt wird. 

Darüber hinaus ist eine Täterschaft nach Art. 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB kraft Organisationsherrschaft denkbar. Das kann beispielsweise auf Personen zutreffen, die zwar wegen ihrer leitenden und daher primär delegierenden Tätigkeit nicht unmittelbar selbst handeln, aber dennoch im Wege der Herrschaft über die Organisationsstruktur die Tatherrschaft innehaben.

Außerdem ist das Wirtschaftsstrafrecht von einer Vielzahl an Sonderdelikten geprägt, bei denen der/die Täter:in zusätzliche Eigenschaften erfüllen muss. Beispielsweise sind bei der Veruntreuung von Arbeitsentgelt nach § 266a StGB nur die Arbeitgeber:innen taugliche Täter:innen. Damit ist die juristische Person gemeint, nicht aber das tatsächlich handelnde Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft oder der/die Geschäftsführer:in einer GmbH. Damit letztere trotzdem strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wird der Täterkreis mit Hilfe des § 14 StGB ausgedehnt.

Die Norm bewirkt, dass sich auch die Vertreter der ursprünglichen Normadressaten (= die juristische Person) strafbar machen, da sie durch ihre Aufgabenübernahme in die Pflichtenposition der juristischen Person einrücken. Zahlt also die Geschäftsführerin einer GmbH für ihre Arbeitnehmer:innen keine Sozialversicherungsabgaben, so ist diese zwar nicht selbst Arbeitgeberin, macht sich aber wegen ihrer Position als vertretungsberechtigtes Organ im Sinne des § 14 I Nr. 1 StGB nach § 266a StGB strafbar. 

Daneben erlegt das Gesetz den Inhaber:innen eines Betriebes oder Unternehmens bestimmte Aufsichtspflichten auf. Ziel ist es, durch Vorkehrungsmaßnahmen dafür zu sorgen, dass betriebsspezifische Gefahren abgewehrt werden. Verstoßen Inhaber:innen gegen diese Pflicht, indem sie beispielsweise gegen Pflichtverletzungen ihrer Mitarbeiter:innen nicht ausreichend vorgesorgt haben, so liegt darin unter Umständen eine Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 130 OWiG. Davon umfasst ist beispielsweise eine regelmäßige Aufklärung der Mitarbeitenden über die sie betreffenden rechtlichen Regelungen. Dabei reicht in der Regel eine pauschale Belehrung, dass Gesetzesverletzungen untersagt sind, nicht aus. Wie intensiv die Aufklärung aber tatsächlich erfolgen muss, hängt unter anderem davon ab, wie komplex die Rechtslage ist.

Den § 130 OWiG solltest du insbesondere dann im Hinterkopf behalten, wenn du dir eine Tätigkeit im Bereich „Compliance“ (hierzu s.u.) vorstellen kannst oder dich ein Unternehmen bittet zu prüfen, ob es ausreichende Aufsichtsmaßnahmen im Sinne des § 130 OWiG getroffen hat. Weil es dazu keine Definition gibt, ist es durchaus kompliziert, bei dieser Frage eine gerichtsfeste Beurteilung zu erteilen. In solchen Fällen solltest du deine Mandant:innen stets auf die möglichen Risiken aufmerksam machen

2. Weswegen wird bestraft?

Das materielle Wirtschaftsstrafrecht beinhaltet zum einen bekannte Delikte aus den Bereichen Betrug, Untreue oder Geldwäsche sowie zum anderen speziell wirtschaftsstrafrechtliche Delikte in spezifischen Rechtsbereichen wie etwa dem Kapitalmarktrecht. 
 

a) Die Untreue nach § 266 StGB

Fasziniert dich die Kombination aus einem Verständnis für unternehmerische Entscheidungen und der juristischen Argumentationsspielwiese, so hält das Delikt der Untreue einige interessante Aspekte bereit. Bereits auf Tatbestandsebene besteht in Gestalt des normativen Merkmals der Vermögensbetreuungspflichtverletzung ein breiter Argumentationsspielraum, den es sowohl auf Ermittlungs- sowie auf Verteidigungsseite mit Leben zu füllen gilt. Dabei stellt sich die Frage, wie weit das rechtliche Dürfen der handelnden Person reicht, sprich ab wann eine Pflichtverletzung vorliegt.

Ein prominentes Beispiel für das Hin- und Her der Argumente wird durch die Diskussion rund um die deutsche „Ausländermaut“ und damit einhergehend der Strafbarkeit des damaligen Bundesverkehrsministers verdeutlicht. Der Bund steht einer Schadensersatzforderung in Höhe von 243 Mio. Euro entgegen, da die Maut wegen ihrer Europarechtswidrigkeit nicht durchgeführt werden konnte, wenngleich entsprechende Verträge durch Herrn Scheuer bereits abgeschlossen waren. In diesem Zusammenhang kann man sich fragen, inwieweit Regierungsmitglieder solche Risikogeschäfte abschließen dürfen, insbesondere mit Blick auf die Vermögensinteressen der Steuerzahlenden. 

Eine durch den BGH bestätigte Untreuestrafbarkeit besteht dagegen bei der Gewährung millionenschwerer Prämienzahlungen an Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft. Dabei droht die Strafbarkeit nicht nur den Vorstandsmitgliedern, die eine Vermögensbetreuungspflicht trifft, sondern über die Beihilfestrafbarkeit ebenso anderen Unternehmensmitgliedern, sofern die Voraussetzungen nach § 27 StGB vorliegen. 
 

b) Der Bankrott nach § 283 StGB

Dem im Jura-Studium eher nur am Rande auftauchenden Delikt des Bankrotts kommt in der wirtschaftsstrafrechtlichen Praxis erheblich größere Bedeutung zu. Medial gewinnt das Delikt ebenso an Aufmerksamkeit, unter anderem durch die Verurteilung im sogenannten Schleckerprozess. Die Wirtschaftsstrafkammer des LG Stuttgart verurteilte Anton Schlecker unter anderem wegen vorsätzlichen Bankrotts, da er überhöhte Stundensätze an eine faktisch von seinen eigenen Kindern geführte Logistikfirma und Geldgeschenke in erheblicher Höhe an seine Enkelkinder auszahlte, nachdem er erkannte, dass dem Unternehmen Schlecker die Insolvenz drohte. 

Dies stellt aus juristischer Sicht ein Paradebeispiel für den Bankrott nach § 283 StGB dar. Gerät ein Unternehmen in eine wirtschaftliche Krise, so verlagert sich der Fokus der Unternehmensführung regelmäßig auf die Abwehr der Liquidation des Unternehmens. Ist in dem Zusammenhang sogar ein Insolvenzverfahren aufgrund der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO bereits eröffnet, zielt das deutsche Insolvenzrecht darauf ab, die noch verbleibenden Gläubiger des Unternehmens anteilsmäßig zu befriedigen. 

Der Straftatbestand des § 283 StGB soll verhindern, dass die verfügbare Insolvenzmasse unzulässigerweise geschmälert wird und die Gläubiger schließlich mit einer geringeren oder sogar ausbleibenden Befriedigung konfrontiert sind. Strafbares Verhalten ist insbesondere das Beiseiteschaffen von Vermögensbestandteilen im Falle einer Überschuldung oder bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit. In der Praxis wird es häufig darauf ankommen, ob im Zeitpunkt der Transaktion eine Zahlungsunfähigkeit vorlag oder drohte.

Für die Feststellung können unter Umständen bereits das Vorhandensein von Mahn- und Vollstreckungsbescheiden, die Nichtabfuhr von Sozialversicherungsbeiträgen oder das Vorliegen von Pfändungsaufträgen ausreichend sein. Zu beachten ist hierbei, dass nur Schuldner:innen taugliche Täter:innen im Sinne des § 283 StGB sind. Für Unternehmen bedeutet dies, dass sich über § 14 Abs. 1 StGB regelmäßig das vertretungsberechtigte Organ/die vertretungsberechtigten Gesellschafter:innen strafbar machen. 
 

c) Straftaten nach dem Wertpapierhandelsgesetz

An der Börse innerhalb kurzer Zeit hohe Gewinne verzeichnen – das kann zum einen, wer den nötigen Funken Glück besitzt und zum anderen, wer über Insiderinformationen verfügt. Was der Film „Wolf of Wall Street“ eindrucksvoll und mitreißend in amerikanischer Unterhaltungsform darstellt, ist auch in Deutschland in wirtschaftsstrafrechtlichen Verfahren längst Alltag unter dem Titel „Kapitalmarktstrafrecht“. 

Kennzeichen des Kapitalmarktes ist die Umwandlung von Gütern, Waren oder Geld in anderes Kapital. Das geschieht etwa durch den Ankauf von Aktien oder die Investition in andere Währungen (z.B. Bitcoins) oder Güter (z.B. Gold). Regelmäßiges Ziel der Anleger:innen ist dabei eine Wertsteigerung des neu erworbenen Kapitals, die grundsätzlich durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage zustande kommt.

Aufgrund der Komplexität des Kapitalmarktes haben sich hingegen diverse andere Verhaltensweisen als gewinnbringend erwiesen, die jedoch nur bedingt legal sind. Hierzu zählt beispielsweise der nach § 119 WpHG unzulässige Insiderhandel. Darunter versteht man den Missbrauch interner Informationen zum Zwecke von gewinnbringenden Börsengeschäften. Dabei haben Täter:innen einen Wissensvorsprung über das beabsichtigte Verhalten eines Unternehmens und können auf dieser Basis durch ihr Kaufverhalten den Kurs oder gar den gesamten Markt stark beeinflussen. Dieses Verhalten widerspricht dem allgemeinen Wunsch nach Chancengleichheit zwischen den Anleger:innen sowie einer allgemeinen Funktionsfähigkeit des Marktes und stellt deshalb eine Ordnungswidrigkeit dar. Führt das Verhalten darüber hinaus zu einem Erfolg in Form eines tatsächlichen Einwirkens auf den Marktpreis, so ist der Straftatbestand des § 119 WpHG verwirklicht. 

Der Begriff der Marktmanipulation umfasst jedoch deutlich mehr marktbezogene Verhaltensweisen als nur den Insiderhandel. Aufgrund der permanenten Weiterentwicklung der Materie, unter anderem infolge der voranschreitenden Digitalisierung, stellt er ein spannendes Arbeitsfeld dar. Sowohl bei deiner Tätigkeit in der Anwaltschaft als auch bei der Justiz erwarten dich herausfordernde Fragestellungen. Dabei wird es für dich darum gehen zu beurteilen, ob ein bestimmtes neuartiges Verhalten auf dem Markt strafbar ist. Innerhalb deiner Subsumtion musst du nun die Funktionsweise des Kapitalmarktes berücksichtigen und bist dadurch in jedem Fall vielfältig beschäftigt.     

Mit diesem groben Überblick mit Bezugnahme zu medial prominenten Fällen konnten wir natürlich nicht sämtliche materiell-rechtlichen Inhalte im Wirtschaftsstrafrecht abdecken und wollen dich daher primär auf die spannende Vielfältigkeit des Rechtsgebiets aufmerksam machen. Phänomene wie Whistleblowing, diverse Betrugskonstellationen, Produkthaftungsdelikte und vieles mehr können ebenfalls Bestandteil des Arbeitstags im Wirtschaftsstrafrecht sein.  

Phänomene wie Whistleblowing, diverse Betrugskonstellationen, Produkthaftungsdelikte und vieles mehr können ebenfalls Bestandteil des Arbeitstags im Wirtschaftsstrafrecht sein.

3. Wie erfolgt die Sanktionierung im Wirtschaftsstrafrecht?

Neben der Bewertung der Strafbarkeit des Verhaltens dem Grunde nach, spielt im Wirtschaftsstrafrecht in der Praxis allen voran die Sanktionierung eine bedeutende Rolle. Dieser Aspekt ist regelmäßiger Streitpunkt zwischen Strafverfolgungsbehörde und der Verteidigungsseite, welche versucht, ein möglichst glimpfliches Ende für die eigene Mandantschaft zu erreichen. Zunächst gilt es herauszufinden, welche Sanktionsmöglichkeiten den Strafverfolgungsbehörden im Wirtschaftsstrafrecht allgemein zur Verfügung stehen. 
 

a) Sanktionierung von natürlichen Personen

Als Strafe für die natürliche Person, beispielsweise das angeklagte Vorstandsmitglied, kommen die Freiheitsstrafe (§§ 38 f. StGB) und die Geldstrafe (§§ 40 ff. StGB) in Betracht. Daneben kann auch ein Berufsverbot nach § 70 StGB als Maßregel der Besserung und Sicherung nach § 61 Nr. 6 StGB verhängt werden. 

Im Recht der Ordnungswidrigkeiten erfolgt die Sanktion durch eine Geldbuße gemäß § 1 OWiG. Nach § 17 Abs. 1 OWiG beträgt diese höchstens eintausend Euro, sofern das Gesetz selbst nichts anderes bestimmt. Das ist an vielen Stellen der Fall, unter anderem im Rahmen des § 130 OWiG, wenn es um die Sanktionierung der Verletzung von Aufsichtspflichten durch Inhaber:innen eines Betriebs oder eines Unternehmens geht. In ihrem Fall kann eine Geldbuße bis zu einer Million Euro verhängt werden. Außerdem kann nach § 17 Abs. 4 OWiG auch das in Absatz 1 angeordnete Höchstmaß von eintausend Euro angehoben werden, da schließlich die Geldbuße den wirtschaftlichen Vorteil, den die Täter:innen aus der Ordnungswidrigkeit gezogen haben, übersteigen soll. 
 

b) Sanktionierung von Unternehmen

Kriminalstrafen können zwar gegen Unternehmen nicht verhängt werden, dennoch existieren diverse Mechanismen zur Sanktionierung von Unternehmen. Zum einen zählt hierzu die Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG, deren Höhe bei vorsätzlichen Straftaten bis zu zehn Millionen Euro betragen kann. Da jedoch auch dieses Höchstmaß gelegentlich überschritten werden kann, konnten in der Vergangenheit bereits Bußgelder in Höhe von beispielsweise 395 Millionen Euro gegen die Siemens AG zustande kommen. 

Damit die Geldbuße verhängt werden kann, ist zunächst erforderlich, dass eine Leitungsperson des Unternehmens eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen, mithin tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft (bzw. vorwerfbar mit Blick auf § 12 OWiG) gehandelt hat. Neben der Sanktionierung dieser Täterperson, kann sodann eine Geldbuße gegen den Rechtsträger des Unternehmens verhängt werden. Wegen § 30 Abs. 4 OWiG kann die Geldbuße hingegen auch dann festgesetzt werden, wenn gegen die Leitungsperson kein Straf- oder Bußgeldverfahren eingeleitet wird. Insgesamt steht die Festsetzung einer Geldbuße nach § 30 OWiG im Ermessen der zuständigen Instanz. Hierbei ist zu beachten, dass die Festsetzung wegen § 30 Abs. 5 OWiG eine Einziehung nach §§ 73 ff. StGB wegen derselben Tat sperrt.

Neben den Strafverfolgungsbehörden stehen auch den Verwaltungsbehörden mit den § 35 GewO oder § 62 GmbHG rechtliche Instrumente zur Hand, wodurch die Schließung oder Auflösung einer Gesellschaft erreicht werden kann. 

Angesichts der durch die regierenden Parteien bislang erfolglosen Einführung eines Verbandssanktionengesetzes, bleibt die Thematik rund um die Sanktionierung von Unternehmen hochaktueller Gegenstand einer möglichen Reformierung. 
 

c) Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB

Außerdem kann das Gericht nach den §§ 73 ff. StGB eine Einziehung der Taterträge bei den Täter:innen anordnen. Das bedeutet, dass das von Täter:innen durch oder für eine rechtswidrige Tat erlangte „Etwas“ letztlich gemäß § 75 StGB auf den Staat übergeht. Eine Einziehung nach § 73 StGB ist daher immer (aber nicht nur) dann anzudenken, wenn die Tat zu einem materiellen Ertrag in Form einer Beute oder eines Entgelts führte. 

Vorgegangen wird hierbei nach dem sogenannten Bruttoprinzip; das heißt, dass der gesamte Erlös abgeschöpft wird und nicht lediglich der Tatgewinn. Haben hingegen Tatbeteiligte für die Vorbereitung oder Begehung der Tat zunächst selbst Geld investiert, so ist das erlangte „Etwas“ bei Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 73d Abs. 1 StGB entsprechend zu reduzieren. Hierzu zählen beispielsweise der Kaufpreis für eine später durch eine strafbare Handlung verkaufte Ware. Dagegen besteht in bestimmten Fällen des § 73d Abs. 1 S. 2 Hs. 2 StGB ein Abzugsverbot. Bedeutung erlangt dieses insbesondere im Bereich der Kapitalmarktstraftaten – werden beispielsweise Aktien für ein verbotenes Insidergeschäft angeschafft, so kann das Gericht diese auch einziehen. Hintergrund ist der Rechtsgedanke des § 817 S. 2 BGB, da solche Aufwendungen, die selbst strafbares Verhalten beinhalten, nicht abzugsfähig sein sollen. Täter:innen entkommen der Einziehung auch nicht durch die Begehung von Straftaten, bei denen das Erlangte wegen seiner Beschaffenheit nicht der Einziehung unterliegt, weil es sich zum Beispiel um eine empfangene Dienstleistung handelt. In solchen Fällen ordnet § 73c StGB die Einziehung eines Geldbetrags an, der dem Wert des Erlangten entspricht. 

Sämtliche Sanktionsmöglichkeiten solltest du sowohl auf Ermittlungs- als auch auf Verteidigungsseite im Blick haben. Für deine Tätigkeit als Anwalt/Anwältin ist es wichtig, zumindest gedanklich zu prüfen, ob überhaupt die Voraussetzungen für die von den Verfolgungsbehörden gewählte Sanktion vorliegen, bevor du anschließend die konkrete Höhe angreifen kannst.

Ab ins facettenreiche Wirtschaftsstrafrecht!

Internationale Aspekte 


Die strafrechtlichen Ermittlungsbefugnisse enden rein rechtlich betrachtet an der Landesgrenze. Die deutsche Staatsanwaltschaft verfügt jedoch über die Möglichkeit, im Wege der Amtshilfe bei ausländischen Behörden nach Hilfe bei der Erkenntnisgewinnung zu bitten. Die Zusammenarbeit ist dabei durch die Internationalisierung zunehmend vorangetrieben worden. Daneben besteht nach § 153c StPO auch die Möglichkeit, von der Verfolgung einer Auslandstat gänzlich abzusehen. 

Die Ermittlungen bei Wirtschaftsstraftaten, die den finanziellen Interessen der EU zuwiderlaufen, fallen in die eigens hierfür kreierte Europäische Staatsanwaltschaft. Hierzu zählen beispielsweise Delikte aus den Bereichen Betrug, Korruption und Geldwäsche. Die EUStA hat ihren zentralen Sitz in Luxemburg. Die eigentliche Ermittlungsarbeit wird allerdings von den nationalen Zweigstellen übernommen, die sich in Deutschland in Berlin, Frankfurt a.M., Hamburg, Köln und München befinden.  
 

Das rechtliche Beratungsfeld „Compliance“ im Unternehmen


1. Criminal Compliance Systeme im Unternehmen 

In Anbetracht der aufgezeigten Sanktionsmöglichkeiten, die das Unternehmen unmittelbar treffen können, ist das Interesse sehr groß, die Verhängung einer Sanktion bereits präventiv zu vermeiden oder im Falle einer erfolgten Verhängung eine weitere Sanktion abzuwenden. Diese Bemühungen innerhalb eines Unternehmens bringt der Begriff „Compliance“ zum Ausdruck. Das Wort leitet sich vom englischen Verb „to comply with“ ab und bedeutet übersetzt so viel wie „befolgen“. Im Grunde geht es also um die Befolgung von Gesetz und Recht. Dass hierfür teilweise eigene Stellen als „Compliance Officer“ vorgesehen sind, mag auf den ersten Blick verwundern, ist jedoch aus generalpräventiver Sicht im Bereich des Strafrechts äußerst sinnvoll. 

Compliance Maßnahmen knüpfen zu einem deutlich vorgelagerten Zeitpunkt an und versuchen durch die Einführung unterschiedlicher Maßnahmen das Entstehen eines strafbaren Handelns innerhalb eines Unternehmens präventiv zu verhindern. Eine einheitliche Handhabung existiert hingegen nicht, vielmehr wird Compliance im Unternehmen unterschiedlich gelebt. So bestehen einerseits Modelle, die lediglich die Unternehmensführung ins Visier nehmen und jene Personen das Mindset weitertragen lassen.  Andererseits wird dafür plädiert, das gesamte Unternehmenspersonal mit ins Boot zu holen und ein moralisches Fundament zu kreieren, auf dessen Grundlage die Mitarbeitenden zu integrem Verhalten angehalten sind. Insgesamt geht es also darum, eine unternehmerische Ethik zu kreieren, sodass sich das Verhalten der Mitarbeitenden aufgrund dieser Einstellung bereits gesetzeskonform ausgestaltet. 

Grundsätzlich wird jedoch neben der Unternehmensethik die Erstellung eines Verhaltenskodex im Unternehmen im Vordergrund stehen. In Betracht kommt dies bei risikohaften Verhaltensweisen eines Individuums, wie etwa der Annahme von Geschenken oder im größeren Kontext bei der Zusammenarbeit mit Unternehmen in korruptionsanfälligen Ländern. Dabei ist aus beratender Perspektive zu beachten, dass das Unternehmen bei der Ausarbeitung der Verhaltensregeln selbst einen Sorgfaltsmaßstab setzt. Je strenger daher der interne Unternehmensstandard ist, desto eher kann dieser bei der Frage nach der Strafbarkeit des Verhaltens für die Auslegung der Fahrlässigkeit herangezogen werden. Im Ergebnis kann man damit Gefahr laufen, durch eigene strenge Standards schneller in die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit zu geraten. 
 

2. Interne Untersuchungen im Unternehmen

Darüber hinaus weist Compliance eine repressive Dimension auf. Denn besteht der Verdacht einer Verletzung der auferlegten Verhaltensregeln, so gilt es, diesen Sachverhalt zunächst einmal aufzudecken bzw. zu ermitteln und abschließend zu sanktionieren. Die Aufklärung erfolgt nicht selten durch das Unternehmen selbst im Wege sogenannter Internal Investigations. In diesem Zusammenhang wird aktuell das Risiko eines „unternehmensinternen Schattenstrafrechts“ diskutiert; denn leiten Unternehmen selbst die interne Aufklärung, so ist die Gefahr deutlich höher, dass dabei Vorschriften des Datenschutz- oder Arbeitsrechts verletzt werden. Auf der anderen Seite kann mittels Durchführung von internen Untersuchungen auch eine Strafmilderung herbeigeführt werden. 

Solche Untersuchungen werden nicht selten von Dritten wie etwa Wirtschaftsprüfer:innen oder auch Großkanzleien begleitet. Solltest du dich für eine Tätigkeit im Wirtschaftsstrafrecht in einer Großkanzlei entscheiden, so ist es durchaus möglich, dass du mit der Betreuung bei internen Untersuchungen beauftragt wirst und so in einer anwaltlichen Tätigkeit praktisch in die Rolle der Staatsanwaltschaft schlüpfst.

Konkrete Tätigkeitsfelder: So kann es weitergehen!

Die zwei großen Anlaufstellen für die juristische Arbeit im Wirtschaftsstrafrecht und deine fachliche Umorientierung sind der Staatsdienst sowie die Tätigkeit in Kanzleien, der freien Wirtschaft.

In vielen Strafkammern gibt es in der Staatsanwaltschaft auch eine Abteilung allein für Wirtschaftsstrafrecht. Hier ist materiell-rechtliches und wirtschaftliches Geschick gefragt! Und nicht selten handelt es sich im Wirtschaftsstrafrecht um sehr komplexe Verfahren. Das bedeutet: Akten und Ordner wälzen. Aber in aktuellen Fällen, wie etwa dem Wirecard-Prozess vor dem LG München, ist die spannende Arbeit der Staatsanwaltschaft im Wirtschaftsstrafrecht fast schon spürbar.

Möchtest du lieber auf der anderen Seite des Gerichtes bei Wirtschaftsstrafrecht-Prozessen sitzen, eignet sich natürlich ganz klassisch auch die juristische Tätigkeit in Kanzleien. An der Tagesordnung steht hier die Begleitung von Unternehmen durch das gesamte Ermittlungs- und Strafverfahren. Da auch die Gesetze im Wirtschaftsstrafrecht ihre Grenzen haben, kann auch ein kreativer und unternehmerischer Denkansatz für neue Verhaltensweisen in der Wirtschaft hilfreich sein. 

Als Compliance Officer zur Vorbeugung und Aufklärung von Straftaten kannst du frühzeitig intern in Unternehmen im Wirtschaftsstrafrecht tätig werden.

 

Abschließend lässt sich festhalten, dass die Tätigkeit im Wirtschaftsstrafrecht facettenreich ist und von einer originär beratenden Tätigkeit in einer Kanzlei über die Beschäftigung mit Wirtschaftskriminalität bei der Staatsanwaltschaft bis hin zur vorbeugenden Arbeit als Compliance Officer im Unternehmen reichen kann. Dabei warten in allen beruflichen Orientierungen – mitunter wegen der zunehmenden Digitalisierung und der damit verbundenen strafrechtlichen Implikationen – spannende Herausforderungen auf dich. Angst vor einer fachlichen Umorientierung musst du hierbei nicht haben; vieles kommt, wie so oft im juristischen Arbeitsleben, mit zunehmender Übung. Darüber hinaus tauchen viele aus dem Studium bereits bekannte Delikte in Abwandlungen auf.