Mehr juristische Berufserfahrung – weniger Gehalt?
Würde man die Betrachtung des Gender Pay Gap auf die Einstiegsgehälter beschränken, könnte man die Lücke in Kanzleien im Vergleich zum Bundesdurchschnitt für relativ gering halten. Ein abweichendes Bild ergibt sich jedoch, wenn man die langfristige Entwicklung der Gehälter verfolgt. Hier vergrößert sich die Kluft nicht nur, sie ist – entgegen älteren Erhebungen – von Anfang an viel tiefer, als bisher angenommen.
Die in der STAR-Untersuchung aufgezeigte Lohnlücke dabei nicht primär auf Juristen in Teilzeit zurückzuführen, da für die Analyse nur Vollzeitgehälter berücksichtigt wurden. Die Diskrepanz wird mit zunehmender Berufserfahrung noch extremer, da Frauen seltener in hochprofitable Partnerschaften aufsteigen.
Bestätigt wird die Gender Pay Gap in der Rechtsberatung auch durch den Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit (aktuelle Daten):
- Justiziar:innen und Wirtschaftsjurist:innen verdienten im bundesweiten Mittel rund 7.100 € brutto monatlich, während ihre weiblichen Kollegen nur bei 6.012 € lagen. Dies entspricht einer Differenz von rund 18 %.
- Besonders eklatant ist der Unterschied in den Zuarbeiterberufen: Notar- und Rechtsanwaltsfachangestellte mussten bei weiblichen Beschäftigten mit einer Gehaltsdifferenz von bis zu 36 % rechnen.
- Am geringsten ist die Lücke laut Entgeltatlas bei Fach-, Rechts- und Syndikusanwält:innen – hier verdienten die Frauen nur 8 % weniger.
Aktuelle Studien zur Rechts- und Steuerberatungsbranche (WSI/Hans-Böckler-Stiftung 2023) legen sogar eine Gesamt-Lücke von rund 32 % nahe, was die Anwaltschaft zu einem der Bereiche mit den größten Ungleichheiten in Deutschland macht.
Großkanzlei oder Boutiquekanzlei: Wer zahlt fairer?
Die Frage, ob Frauen in Großkanzleien, mittelständischen Kanzleien oder Boutiquekanzleien besser aufgehoben sind, bleibt relevant. Während frühere Studien hier klare Präferenzen setzten, lässt sich heute festhalten, dass die Kanzleistruktur die Gehaltslücke stark beeinflusst. Frauen in mittelständischen Kanzleien haben tendenziell die besten Chancen auf eine vergleichsweise gleiche Bezahlung, da hier die Gehaltsspannen enger gefasst sind.
Eine größere Gender Pay Gap zeichnet sich hingegen weiterhin in Großkanzleien und spezialisierten, hochprofitablen Boutiquekanzleien ab. Obwohl hier die höchsten Einstiegsgehälter gezahlt werden (für Top-Absolventen bis zu 225.000 Euro), sind die Einkommen nach einigen Berufsjahren extrem ungleich verteilt: Die männliche Gehaltskurve steigt in diesen Umfeldern in der Regel steiler an, was die Lücke weiter verstärkt. Branchenintern zeigt sich, dass im Bank- und Finanzwesen die Gehaltsunterschiede vergleichsweise geringer ausfallen, während die Lücken in anderen Beratungsbereichen größer sein können.