Gender Pay Gap in Kanzleien

Verfasst von Laura Hörner. Veröffentlicht am 02.11.2020.

Gender-Pay-Gap in Kanzleien: So groß ist sie wirklich

So viel weniger verdienen Anwältinnen

Gleicher Lohn für beide Geschlechter? Nicht nur in der deutschen Allgemeinwirtschaft ist das noch immer eine Wunschvorstellung. Anfang des Jahres zeigte eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, dass Frauen in ihrem ganzen Leben im Durchschnitt fast die Hälfte dessen verdienen, was Männer bekommen. Abhängig ist dies natürlich von einer Menge Faktoren. Doch selbst, wenn man sich die gleiche Branche und sogar den gleichen Beruf ansieht, besteht noch ein bedeutender Unterschied – so zum Beispiel in Kanzleien.

Frauen verdienen weniger als Männer

Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie, die 2019 von azur durchgeführt wurde. 5.000 junge Juristen und Juristinnen wurden zu ihrem Einkommen befragt, wobei sich eine klare Tendenz ergab: Nämlich die, dass Frauen und Männer meist mit einem ähnlich hohen Gehalt in den Beruf starten. Die Einstiegsgehälter werden von Kanzleien oft sehr transparent kommuniziert, sie dienen vor allem in Großkanzleien fast schon als Aushängeschild. Unter anderem diese Transparenz könnte dazu beigetragen haben, dass sich das Lohngefälle verringert hat. In den letzten Jahren ist hier nämlich einiges passiert: Verdienten weibliche Associates in den ersten drei Jahren 2015 noch etwa 10% weniger als ihre Kollegen, so betrug dieser Unterschied 2019 nur noch 1%. Männer verdienen laut der Umfrage in dieser Zeitspanne durchschnittlich 100.000€, während sich das Gehalt von Frauen auf 98.000€ beläuft.

Mehr Berufserfahrung – weniger Gehalt?

Würde man die Studie hier beenden, ließe sich guten Gewissens behaupten, dass der Unterschied zwischen dem Gehalt von Juristen und Juristinnen vernachlässigbar ist und weit unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Ein abweichendes Bild ergibt sich jedoch, wenn man einen anderen Zeitraum betrachtet und verfolgt, wie sich das Gehalt von diesem relativ gleichberechtigten Anfangsgehalt weiterentwickelt. Dann muss man nämlich feststellen, dass sich die Kluft vergrößert. Vom vierten bis zum sechsten Berufsjahr müssen Frauen bereits mit einem Gehalt rechnen, das 4% unter dem der männlichen Kollegen liegt. Vom siebten bis zum zehnten Jahr steigt diese Differenz noch einmal auf 8%.

Weibliche Senior-Associates verdienen hier im Durchschnitt 114.000€, männliche hingegen 124.000€. Das weit verbreitete Argument, dass Frauen mehr Teilzeit arbeiten, greift hier übrigens nicht – es wurden nur Vollzeitgehälter berücksichtigt.

Großkanzlei oder Boutiquekanzlei: Wer zahlt fairer?

Wo sind Frauen nun besser aufgehoben – in Großkanzleien oder in Boutiquekanzleien? Auch auf diese Frage hat die azur-Studie eine klare Antwort.

So haben die Frauen in mittelständischen Kanzleien wohl die besten Chancen auf ein gleiches Gehalt bei gleicher Qualifikation und werden meist gleich bezahlt.

Unterschiede zeichnen sich dagegen stärker bei Großkanzleien ab – besonders bei denen, die beratend in der Industrie tätig sind. Besser sieht es hingegen im Bank- und Finanzwesen aus, wo die Differenz vergleichsweise geringer ist. Am schlechtesten kommen Frauen im Schnitt bei spezialisierten Boutiquekanzleien weg.

Bedeutet ein niedrigeres Gehalt gleich Diskriminierung?

Auch heute gibt es also noch einen Unterschied zwischen dem Einkommen von Juristinnen und Juristen mit gleicher Berufserfahrung. Worüber die Studie allerdings keinen Einblick gibt, sind die Gründe für diese Ungleichheit. Steht also hinter der niedrigeren Bezahlung automatisch ein diskriminierendes System? Ganz auszuschließen ist das nicht, schließlich sind die Zahlen durchaus ernst zu nehmen und auch in Hinblick auf die Arbeitsstunden bereinigt. Dennoch spielen weitere Faktoren eine Rolle in der ungleichen Verteilung. Beispielsweise, dass Juristinnen oft in Fachbereichen arbeiten, die weniger profitabel sind. Fraglich ist jedoch, ob dieses Argument greift, zeigt sich doch, dass das Anfangsgehalt beider Geschlechter beinahe identisch ist. 

Dazu kommt, dass Frauen in ihrer Karriere vergleichsweise weniger Wert auf ihr Gehalt und mehr auf eine gute Work-Life-Balance legen als Männer – auch wenn diese Einstellung sich momentan ändert und auch viele Männer einen besseren Ausgleich fordern. Dementsprechend sind Juristinnen oft zufriedener mit ihrem Gehalt, was ebenfalls aus der Umfrage von azur aus dem Jahr 2019 hervorgeht. Demnach wählen 10% der Frauen ihre Stelle vorrangig auf Basis des Gehalts, bei den Männern sind es 17%.

Daraus könnte man den Schluss ziehen, dass sie auch weniger oft und weniger aggressiv verhandeln. Verallgemeinern lässt sich das natürlich nicht und auch die Tendenz, dass Juristinnen weniger Wert auf mehr Geld legen als Juristen, ist kein Argument dafür, sie bei gleicher Arbeit und Qualifikation auch schlechter zu bezahlen.

Die Gleichberechtigung beim Thema Gehalt bleibt in Kanzleien also eine Streitfrage. Zu viele Faktoren spielen in die Verteilung hinein, als dass man eine allgemeingültige Aussage treffen könnte. Je nachdem, wer rechnet, welche Gruppen in die Berechnung miteinbezogen werden und auf welchen Zeitraum die Studie ausgelegt ist, kommt man auf verschiedene Ergebnisse. Eine Studie von 2017 stellte bei Frauen sogar ein um 8% höheres Einstiegsgehalt für Juristinnen fest. Damit ist sie jedoch eher die Ausnahme. Eines haben fast alle Studien gemeinsam: Ein gleiches Gehalt für alle ist noch nicht in allen Kanzleien und allen Fachbereichen Realität – egal, wie man die Rechnung dreht und wendet.

 

Auch wenn sich eine Besserung abzeichnet, ist die Gender-Pay-Gap in Kanzleien noch immer nicht geschlossen. Damit sich dies ändert, bedarf es nicht nur struktureller Veränderungen, sondern auch eines Bewusstseins von Juristinnen dafür, dass sie weniger verdienen als ihre Kollegen. Diesem Bewusstsein müssen schließlich Taten folgen, um eine bessere Verteilung der Gehälter zu bewirken. 

Gleiss Lutz
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