Gender Pay Gap in Kanzleien

Veröffentlicht am 11.12.2025

Gender Pay Gap in Kanzleien: So groß ist sie wirklich

So viel weniger verdienen Anwältinnen

In der deutschen Anwaltschaft ist die Entgeltgleichheit trotz Rekordgehältern noch immer eine Wunschvorstellung. Während der bundesweite Gender Pay Gap aktuell bei 16 % liegt, klafft in Kanzleien eine deutlich tiefere Lücke. Die aktuellsten Zahlen der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) zeigen: Angestellte Anwältinnen verdienen im Schnitt 23,3 % weniger als ihre männlichen Kollegen. Obwohl Top-Juristen mit identischen Qualifikationen heute mit teils sechsstelligen Einstiegsgehältern starten, vergrößert sich die Diskrepanz massiv im Laufe der Karriere.

Juristinnen verdienen weniger als Juristen

Zu diesem Schluss kommt auch die STAR-Untersuchung 2023 der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) sowie eine Reihe aktueller Gehaltsstudien für Juristinnen und Juristen. Es zeigt sich weiterhin eine klare Tendenz, dass Frauen und Männer zwar oft mit einem ähnlich hohen Gehalt in den Beruf starten, die Gehaltsspanne aufgrund der aggressiv gestiegenen Spitzengehälter jedoch größer geworden ist.

Die Einstiegsgehälter werden von Kanzleien oft sehr transparent kommuniziert; sie dienen vor allem in Großkanzleien, wo die Spitzengehälter für Berufsanfänger mittlerweile bis zu 225.000 Euro (inkl. Boni) erreichen, als Aushängeschild. Diese Transparenz mag dazu beigetragen haben, dass die Lücke direkt beim Berufseinstieg relativ gering ist.

Allerdings zeigen detaillierte Erhebungen, dass sich das Lohngefälle drastisch vergrößert, sobald die Juristinnen und Juristen einige Jahre Berufserfahrung gesammelt haben. Während frühere Studien (z. B. azur 2020) bei weiblichen Associates in den ersten Jahren noch eine Differenz von ca. 4 % feststellten, ist die Einkommenslücke für angestellte Rechtsanwältinnen (Vollzeit) laut der BRAK-Studie von 2023 auf 23,3 % gestiegen. Männliche angestellte Anwälte verdienten demnach durchschnittlich 97.000 Euro brutto jährlich, während ihre weiblichen Kolleginnen nur rund 70.000 Euro erhielten.

Wie hoch ist die gefühlte Gender Pay Gap unter Jurist:innen?

Studien bilden nicht ab, wie stark Arbeitnehmer:innen die Gender Pay Gap faktisch empfinden. In einer Umfrage haben wir deshalb untersucht, wie hoch die gefühlte Gender Pay Gap und die empfundene Benachteiligung tatsächlich ist. Hier findest du die Ergebnisse unserer Gender Pay Gap Umfrage.

Mehr juristische Berufserfahrung – weniger Gehalt?

Würde man die Betrachtung des Gender Pay Gap auf die Einstiegsgehälter beschränken, könnte man die Lücke in Kanzleien im Vergleich zum Bundesdurchschnitt für relativ gering halten. Ein abweichendes Bild ergibt sich jedoch, wenn man die langfristige Entwicklung der Gehälter verfolgt. Hier vergrößert sich die Kluft nicht nur, sie ist – entgegen älteren Erhebungen – von Anfang an viel tiefer, als bisher angenommen.

Die in der STAR-Untersuchung aufgezeigte Lohnlücke dabei nicht primär auf Juristen in Teilzeit zurückzuführen, da für die Analyse nur Vollzeitgehälter berücksichtigt wurden. Die Diskrepanz wird mit zunehmender Berufserfahrung noch extremer, da Frauen seltener in hochprofitable Partnerschaften aufsteigen.

Bestätigt wird die Gender Pay Gap in der Rechtsberatung auch durch den Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit (aktuelle Daten):

  • Justiziar:innen und Wirtschaftsjurist:innen verdienten im bundesweiten Mittel rund 7.100 € brutto monatlich, während ihre weiblichen Kollegen nur bei 6.012 € lagen. Dies entspricht einer Differenz von rund 18 %.
  • Besonders eklatant ist der Unterschied in den Zuarbeiterberufen: Notar- und Rechtsanwaltsfachangestellte mussten bei weiblichen Beschäftigten mit einer Gehaltsdifferenz von bis zu 36 % rechnen.
  • Am geringsten ist die Lücke laut Entgeltatlas bei Fach-, Rechts- und Syndikusanwält:innen – hier verdienten die Frauen nur 8 % weniger.
Aktuelle Studien zur Rechts- und Steuerberatungsbranche (WSI/Hans-Böckler-Stiftung 2023) legen sogar eine Gesamt-Lücke von rund 32 % nahe, was die Anwaltschaft zu einem der Bereiche mit den größten Ungleichheiten in Deutschland macht.

 

Großkanzlei oder Boutiquekanzlei: Wer zahlt fairer?

Die Frage, ob Frauen in Großkanzleien, mittelständischen Kanzleien oder Boutiquekanzleien besser aufgehoben sind, bleibt relevant. Während frühere Studien hier klare Präferenzen setzten, lässt sich heute festhalten, dass die Kanzleistruktur die Gehaltslücke stark beeinflusst. Frauen in mittelständischen Kanzleien haben tendenziell die besten Chancen auf eine vergleichsweise gleiche Bezahlung, da hier die Gehaltsspannen enger gefasst sind.

Eine größere Gender Pay Gap zeichnet sich hingegen weiterhin in Großkanzleien und spezialisierten, hochprofitablen Boutiquekanzleien ab. Obwohl hier die höchsten Einstiegsgehälter gezahlt werden (für Top-Absolventen bis zu 225.000 Euro), sind die Einkommen nach einigen Berufsjahren extrem ungleich verteilt: Die männliche Gehaltskurve steigt in diesen Umfeldern in der Regel steiler an, was die Lücke weiter verstärkt. Branchenintern zeigt sich, dass im Bank- und Finanzwesen die Gehaltsunterschiede vergleichsweise geringer ausfallen, während die Lücken in anderen Beratungsbereichen größer sein können.

Niedrigeres Gehalt: Ursachen und strukturelle Verantwortung

Die aktuellen Zahlen, die eine Lücke von über 23 % bei angestellten Juristinnen belegen, sind unbestreitbar ernst zu nehmen. Trotz bereinigter Daten bleibt die Frage, ob hinter der ungleichen Bezahlung ein systematisches Problem steckt.

Zwei zentrale Argumente spielen in dieser Debatte immer wieder eine Rolle:


1. Warum die Lücke im Laufe der Zeit wächst

Einerseits wird oft angeführt, Juristinnen würden häufiger Fachbereiche wählen, die generell weniger profitabel sind. Dieses Argument wird jedoch fragwürdig, wenn man sich die Berufsanfänge ansieht: Dort sind die Gehälter beider Geschlechter oft noch beinahe identisch. Das deutet darauf hin, dass die Gehaltskluft vor allem im späteren Karriereverlauf entsteht und sich dort massiv vertieft.


2. Prioritäten und Verhandlungsgeschick

Andererseits spielen individuelle Prioritäten eine Rolle. Studien zeigen, dass Juristinnen dem Thema Work-Life-Balance tendenziell einen höheren Stellenwert einräumen und im Schnitt weniger aggressiv verhandeln als ihre männlichen Kollegen. Diese Präferenzen dürfen aber selbstverständlich kein Freifahrtschein dafür sein, Frauen bei gleicher Leistung und gleicher Stundenzahl schlechter zu bezahlen.

Um die Gehaltslücke in Kanzleien wirklich zu schließen, braucht es daher nicht nur das Bewusstsein der Juristinnen für ihren eigenen Marktwert. Es bedarf vor allem struktureller Transparenz – auch angestoßen durch Richtlinien der EU – und ein klares Bekenntnis der Arbeitgeber zur gerechten Bezahlung.

 

Fazit und häufige Fragen

Die Gleichheit beim Berufseinstieg täuscht: Trotz Rekordlöhnen in Großkanzleien bleibt der Gender Pay Gap in der Anwaltschaft ein massives strukturelles Problem. Die Lohnlücke ist deutlich größer als im Bundesdurchschnitt und vertieft sich vor allem im Laufe der Karriere. Die Ursache liegt weniger in individuellen Präferenzen, sondern in der ungleichen Gehaltsentwicklung nach den ersten Berufsjahren. Eine gerechte Bezahlung erfordert daher von den Kanzleien mehr Transparenz und ein klares Bekenntnis zur strukturellen Gleichbehandlung.


Häufig gestellte Fragen zur Gender Pay Gap in Kanzleien

Warum verdienen Frauen in Kanzleien weniger?

Die Lücke entsteht nicht hauptsächlich durch Teilzeitarbeit, sondern weil die Gehälter von Frauen nach den ersten Berufsjahren deutlich langsamer steigen als die der Männer. Dies zeigt sich darin, dass angestellte Juristinnen (Vollzeit) im Schnitt 23,3 % weniger verdienen.


Welche Kanzleigrößen zahlen Frauen am fairsten?

Tendenziell bieten mittelständische Kanzleien oft eine gleichmäßigere Bezahlung, da ihre Gehaltsspannen enger sind. In Großkanzleien und spezialisierten Boutiquen ist die Kluft im späteren Karriereverlauf am größten.


Haben sich die Einstiegsgehälter für Juristinnen und Juristen angeglichen?

Ja, die Einstiegsgehälter liegen aufgrund der Transparenz in Großkanzleien meist nah beieinander. Allerdings ist das Gehaltsgefälle nach dem Berufseinstieg das größte Problem, da es sich von dort aus drastisch vergrößert.


Liegt die Lohnlücke in der Anwaltschaft über dem deutschen Durchschnitt?

Eindeutig ja. Der Gender Pay Gap in Kanzleien ist mit 23,3 % (bei angestellten Juristinnen) deutlich höher als der aktuelle allgemeine deutsche Durchschnitt, der bei 16 % liegt.