Professor Michael Wrase im New Lawyers Podcast

Verfasst von Laura Hörner|Veröffentlicht am 11.05.2022

Zugang zum Recht: Sind vor der Justiz wirklich alle gleich?

Professor Michael Wrase im New Lawyers Podcast

Michael Wrase beschreibt sich selbst nicht als den Typ Menschen, der auf Partys Spontanvorträge hält. Über mindestens zwei Themen könnte er sich aber doch länger unterhalten: den Klimawandel und die Rechtssoziologie.

Neben seiner Tätigkeit als Professor für Öffentliches Recht an der Stiftung Universität Hildesheim ist Michael Wrase Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Dort leitet er aktuell das Projekt „Zugang zum Recht in Berlin", in dem empirisch untersucht wird, wie der tatsächliche Zugang für Bürgerinnen und Bürger zum Recht und zur Justiz in Berlin aussieht.

Wie es um den Zugang steht, wie das Projekt aufgebaut ist und warum mehr über Rechtssoziologie (was ist das eigentlich?) gesprochen werden sollte, darüber spricht Michael Wrase mit Alisha Andert.

 

Rund 200 Wissenschaftler:innen forschen am WZB (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung) interdisziplinär an den unterschiedlichsten sozialen Themen: zum Beispiel der Entwicklungszusammenarbeit, der sozialen Ungleichheit und der Geschlechtergleichheit. Unter diesen Wissenschaftler:innen ist auch Michael Wrase, einer der wenigen Jurist:innen am WZB. Im Fokus seiner Forschung stehen die Rechtswirkung und die Rechtssoziologie – zwei Themen, die seiner Meinung nach in Deutschland zu wenig Beachtung finden.

Die beiden Bereiche beschäftigen sich unter anderem damit, welche Auswirkungen bestimmte Gesetzgebungen auf die Gesellschaft haben. „Recht will ja Gesellschaft gestalten“, erklärt Wrase, es sei ein Mittel der sozialen Steuerung und keineswegs ein Selbstzweck. Ob nun aber Gesetze das bewirken, was sie sollen, oder vielleicht genau das Gegenteil davon, das sei hierzulande viel zu wenig erforscht. Die Rechtswissenschaft sei dazu in Deutschland und Europa zu normativ ausgerichtet, zu dogmatisch.

Diese Tendenz zeigt sich auch, wenn man den Forschungsstand einmal genauer unter die Lupe nimmt. So gibt es laut Wrase im Recht an der einen Stelle besonders viel und differenzierte Forschung (man schaue sich nur einmal die Kommentierungen zum Grundgesetz an), an anderer Stelle werde dafür viel zu wenig geforscht – etwa rund um das Thema Legal Tech und die Veränderungen auf dem Anwaltsmarkt. Genauso sieht es auch bei der Rechtssoziologie aus: Die Rechtswissenschaft sei zu sehr auf die praktische Ausübung ausgerichtet, sodass gesellschaftliche Fragen oft zu kurz kämen.

Spannende Interviews mit Rechtsexpert:innen im New Lawyers Podcast

Hier findest du die aktuellsten Folgen!

Wie ist es in Deutschland um den Zugang zum Recht bestellt?

Einen Schwerpunkt in seiner Forschung stellt für Michael Wrase der Zugang zum Recht dar. Die Justiz hat den Anspruch, für alle Bürger:innen da zu sein und unabhängig von Faktoren wie dem Einkommen oder der Herkunft einen gleichen Zugang zu bieten. Um herauszufinden, ob und welche Hürden im Rechtszugang in Deutschland bestehen, arbeitet Wase zusammen mit einem interdisziplinären Team. Wie zu vielen Themen gebe es dazu nämlich nicht genug Wissen. In vielerlei Hinsicht sei die Justizstatistik nur wenig aussagekräftig, Veränderungen in der Justiz (wie aktuell zum Beispiel Verfahrensrückgänge) könnten deshalb oftmals nicht wirklich begründet werden.

Um mehr Klarheit zu schaffen, wurden im Rahmen des Projekts bisher über vierzig Interviews mit Justizpersonal geführt und unter anderem Richter:innen, Rechtspfleger:innen und Anwält:innen befragt. Herausfinden möchten Wrase und sein Team zum Beispiel, ob es in Bezug auf den Migrationshintergrund oder den sozioökonomischen Status Unterschiede im Zugang zum Recht gibt. Dabei konzentrieren sie sich auf die für alle Bürger:innen relevanten Bereiche des Wohnungsmietrechts und des Verbraucherrechts.

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Sozioökonomischer Status und Migrationshintergrund: Typische Hürden in der Justiz

Die ersten Ergebnisse zeigen, dass es durchaus Unterschiede geben könnte. Gerade Beratungsstellen für Menschen mit Migrationshintergrund hätten einen eher kritischen Blick auf die Justiz. Sie hielten diese für schwer zugänglich und fühlten sich vor Gericht oft nicht ernst genommen. Im Rechtssystem spiegelten sich die Machtverhältnisse der Gesellschaft wider: So sei es etwa für einen wohlhabenden Geschäftsmann finanziell kein Problem, einen Prozess zu bezahlen – im Gegensatz zu Personen, die staatliche Unterstützungsleistungen erhalten.

Auch hätten viele Menschen einfach keinen Bezug zum Rechtssystem: „Wir haben schon viele Fälle, wo Menschen halt einfach sich überhaupt nicht wehren, wenn sie dann zum Beispiel vom Inkassounternehmen oder vom Vermieter irgendwie eine Mieterhöhung bekommen oder ähnliches“, sagt Wrase. Niedrigschwellige Beratungsangebote und weniger Hürden etwa für Prozesskostenhilfe seien wichtig, um diese Unterschiede auszugleichen.

Wir haben schon viele Fälle, wo Menschen halt einfach sich überhaupt nicht wehren, wenn sie dann zum Beispiel vom Inkassounternehmen oder vom Vermieter irgendwie eine Mieterhöhung bekommen oder ähnliches.
- Michael Wrase

Eine Chance sieht Wrase aber auch in Legal Tech: Transparentere Informationen im Web und Onlineangebote könnten es Bürger:innen einfacher machen, Zugang zum Recht zu erhalten und ihre Ansprüche durchzusetzen. Das zeigten zum Beispiel Online-Anbieter, über welche Mieter:innen die Mietpreisbremse einfach erwirken können. Ohne diese Angebote wären solche Gesetze laut Wrase weniger effektiv. In diesem Zusammenhang läge auch bei den Gesetzgebern selbst eine wichtige Verantwortung: Diese könnten sich bei der Formulierung bereits Gedanken machen, wie ein neues Gesetz aussehen könnte, damit dieses leicht mit Legal Tech zu bearbeiten wäre.

 

Wenn du mehr darüber erfahren möchtest, welche Hürden es auch heute noch beim Zugang zum Recht gibt und welche Lösungsansätze sich anbieten, dann hör doch einmal rein in diese Folge des New Lawyers Podcasts!

Die Themen dieser Folge im Überblick:

 

Ab 02:10: Icebreaker-Frage: Zu welchem Thema könnten Sie einen zehnminütigen Vortrag halten?

Ab 05:50: Was machen Sie am WZB Berlin?

Ab 08:35: Rechtssoziologie & Rechtswirkungsforschung: Was ist das?

Ab 11:38: Warum findet Rechtssoziologie in Deutschland so wenig Beachtung?

Ab 15:49: Was bedeutet Zugang zum Recht?

Ab 18:31: Projekt „Zugang zum Recht in Berlin“

Ab 26:54: Wie ist eine objektive Betrachtung möglich?

Ab 32:06: Welche Hürden gibt es in der Justiz?

Ab 37:34: Welche Chancen gibt es, den Zugang zum Recht zu verbessern?

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Laura Hörner
Kulturwirtschaft Uni Passau

Als freie Autorin schreibt Laura Hörner bei TalentRocket über Themen rund um die juristische Karriere. Besonders interessiert sie sich dabei für die vielfältigen Karrierewege, die Jurist:innen offenstehen.