Strafprozessrecht Verfahrensgrundsätze - Verteidigung

Verfasst von Sebastian M. Klingenberg. 

So baust du eine stabile Verteidigung auf!

Die Verfahrensgrundsätze im Strafprozessrecht

Die strafrechtlichen Prozessmaximen spielen im Studium allenfalls eine untergeordnete Rolle. Im ersten Staatsexamen kann das Wissen um sie allerdings nützlich sein. Im zweiten Staatsexamen und in der Praxis sind die Verfahrensgrundsätze von größter Bedeutung. Die folgende Übersicht soll eine grobe Basis vermitteln.

1. Verfahrensgrundsätze zur Gestaltung der Strafverfolgung

Das Offizialprinzip besagt im weiteren Sinne, dass die Durchführung eines Strafverfahrens vom ersten Einschreiten über die Anklage bis zur Strafvollstreckung Sache des Staates ist.

Im engeren Sinne besagt das Offizialprinzip, dass die Staatsanwaltschaft gemäß § 152 StPO von Amts wegen (ex officio) einzuschreiten hat. Ausnahmen sind allein die Strafantragserfordernisse, das Privatklageverfahren gemäß §§ 374 ff. StPO sowie Ermächtigungsdelikte und das Strafverlangen.

Das Legalitätsprinzip konkretisiert das Offizialprinzip insoweit, als dass es die Staatsanwaltschaft verpflichtet, jedem Anfangsverdacht nachzugehen, ein Ermittlungsverfahren durchzuführen und bei hinreichendem Tatverdacht Anklage zu erheben (§§ 152 II, 160, 170 I StPO).

Ein Anfangsverdacht ist gegeben, wenn aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte das Vorliegen einer verfolgbaren Straftat nach kriminalistischer Erfahrung möglich erscheint. Insoweit hat die Staatsanwaltschaft also einen Beurteilungsspielraum. Im Übrigen gilt das Legalitätsprinzip in Bezug auf den Anfangsverdacht gemäß § 163 I StPO auch für Polizeibeamte, soweit sie Strafverfolgung betreiben.

Problematisch sind stets solche Situationen, in denen die Kenntniserlangung des Verdachts einer Straftat außerdienstlich erfolgt. Nach herrschender Meinung sollen in solchen Fällen Staatsanwaltschaft und Polizei immer dann zum Einschreiten verpflichtet sein, wenn es sich um eine schwere, die Öffentlichkeit berührende Straftat handelt.

Eine Einschränkung erfährt das Legalitätsprinzip durch das Opportunitätsprinzip, welches insbesondere in den §§ 153 ff. StPO kodifiziert ist. Danach kann die Staatsanwaltschaft bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen, die Strafverfolgung aus Gründen der Zweckmäßigkeit nach ihrem Ermessen unterlassen beziehungsweise einstellen. Das Opportunitätsprinzip erfährt auch eine besondere Bedeutung in Jugendstrafverfahren. Dort kann ebenso im Rahmen der sogenannten Diversion nach §§ 45, 47 JGG von der (weiteren) Strafverfolgung abgesehen werden.

Der Untersuchungsgrundsatz besagt i.S.d. § 160 II StPO, dass die Staatsanwaltschaft bereits im Ermittlungsverfahren nicht nur belastendes Material, sondern auch entlastende Umstände zu ermitteln hat.

Das Akkusationsprinzip / der Anklagegrundsatz erweitert den Untersuchungsgrundsatz auf die gerichtlichen Untersuchungen, zu denen es danach nur kommen kann, wenn die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hat („Wo kein Kläger, da kein Richter.“). Darüber hinaus besagt das Akkusationsprinzip / der Anklagegrundsatz, dass das Strafgericht nur über diejenigen Tatvorwürfe befinden darf, die von der Staatsanwaltschaft angeklagt wurden. Sollten während der Hauptverhandlung etwaige andere Taten oder Tatumstände hinzukommen und handelt es sich dabei im prozessualen Sinne noch um die angeklagte Tat (vgl. § 264 I StPO), so ist nach einem rechtlichen Hinweis des Strafgerichts gemäß § 265 I und II StPO eine Aburteilung dieser Taten zulässig – anderenfalls bedarf es hierzu einer Nachtragsklage nach § 266 I StPO.

2. Verfahrensgrundsätze, die zum Schutze des Beschuldigten dienen

Die wohl wichtigste Prozessmaxime in dieser Rubrik ist die Unschuldsvermutung, die sich auch aus Art. 20 III GG, Art. 6 II EMRK ergibt. Sie besagt, dass jedermann so lange als unschuldig gilt, bis seine Schuld durch eine rechtskräftige Entscheidung nachgewiesen ist.

Die Unschuldsvermutung ist hinsichtlich der Bedeutung dicht gefolgt von dem Grundsatz in dubio pro reo, der sich aus Art. 1 I GG, Art. 20 III GG, Art. 6 I, II EMRK, §§ 261 und 267 I 1 StPO ergibt. Danach darf der Angeklagte nur dann verurteilt werden, wenn das Gericht von seiner Schuld überzeugt ist. Deshalb ist diese Prozessmaxime nicht im Ermittlungs- und Zwischenverfahren anwendbar, sondern nur im Hauptverfahren.

Gemäß dem Verfahrensgrundsatz nemo tenetur se ipsum procedere / accusare dürfen ferner keine nachteiligen Schlüsse aus dem prozessual zulässigen Schweigen des Beschuldigten gezogen werden. Unzulässig ist es außerdem, wenn der Beschuldigte zur Aussage gedrängt wird. Nichtsdestotrotz gilt der nemo-tenetur-Grundsatz nicht uneingeschränkt. Der Beschuldigte unterliegt nämlich einer Erscheinungspflicht. Auch muss er Angaben zur Person machen und gegebenenfalls körperliche Eingriffe dulden, zum Beispiel eine Blutabnahme nach § 81a StPO.

Das Beschleunigungsgebot (Konzentrationsmaxime) besagt, dass der Beschuldigte innerhalb eines angemessenen Zeitraums vor Gericht zum Strafvorwurf gehört werden muss, um Klarheit zu erhalten. Grund für das Beschleunigungsgebot ist die Tatsache, dass der Beschuldigte – der ja staatlichen Eingriffsbefugnissen ausgesetzt ist – schließlich einem ungewissen Ausgang des Verfahrens entgegenblickt und ist damit einer erheblichen Belastung ausgesetzt ist. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer bemisst sich nach der Komplexität und den Besonderheiten des Einzelfalls.

Das Fair-Trial-Prinzip ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 III GG und dem Art. 6 I 1 EMRK und besagt, dass der Beschuldigte stets ein Recht auf ein faires Verfahren hat.

Letztlich steht dem Beschuldigten, als Ausfluss des Fair-Trial-Prinzips, auch ein Recht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 I GG zu, das heißt, er hat vor Erlass einer Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht grundsätzlich die Möglichkeit, sich zur Sache zu äußern. Dabei ist ihm insbesondere bei Beendigung der Hauptverhandlung das letzte Wort zu gewähren.

Die wohl wichtigste Prozessmaxime in dieser Rubrik ist die Unschuldsvermutung, die sich auch aus Art. 20 III GG, Art. 6 II EMRK ergibt.

3. Verfahrensgrundsätze zur Gestaltung des Hauptverfahrens

Wie in allen gerichtlichen Verfahren gilt auch im Strafprozess der Grundsatz des gesetzlichen Richters, der dem Einzelnen die Garantie gewährt, dass nur der durch Gesetz bestimmte, nicht ein auf andere Weise bestimmter Richter über ihn Recht spricht.

Eine weitere verfahrensüberschneidende Prozessmaxime ist der Grundsatz der Mündlichkeit, welcher besagt, dass nur diejenigen Umstände zur Entscheidungsgrundlage gemacht werden können, die in der Hauptverhandlung mündlich vorgetragen wurden.

Im Strafprozess gegen Erwachsene gilt ferner der Grundsatz der Öffentlichkeit, wonach die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung des Urteils und der Beschlüsse öffentlich sein muss. Ein allgemeiner Ausschluss der Öffentlichkeit ist nur unten den Voraussetzungen der §§ 171a, 171b, 172 GVG möglich, der Ausschluss einzelner Personen nach §§ 175 ff. GVG. Im Strafprozess gegen Jugendliche gilt hingegen gemäß § 48 I JGG der Grundsatz der Nicht-Öffentlichkeit.

Der Unmittelbarkeitsgrundsatz fordert zum einen gemäß § 226 I StPO die „ununterbrochene Gegenwart“ des Strafgerichts während der gesamten Hauptverhandlung, das heißt, der Richter darf beispielsweise kein Nickerchen während der Verhandlung machen. Zum anderen fordert der Unmittelbarkeitsgrundsatz die möglichst unvermittelte Beweisaufnahme.

Letztlich gilt auch im Strafverfahren der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung. Danach ist dem Richter nicht vorgeschrieben, unter welchen Voraussetzungen er eine Tatsache für bewiesen halten muss. Er würdigt die Beweismittel ausschließlich nach seiner Überzeugung, Art. 97 I GG, § 261 StPO, das heißt, er entscheidet nach freiem Ermessen. Er ist daher weder an ein Geständnis des Angeklagten noch an Sachverständigengutachten oder andere feste Beweisregeln gebunden.

Aber auch dieser Grundsatz hat Grenzen. Zum einen braucht ein Urteil eine objektive, nachvollziehbare Tatsachengrundlage, die an die Regeln der Logik, an gefestigte naturwissenschaftliche Erkenntnisse, an gesetzlichen Bestimmungen, sowie an übergeordnete Verfahrensgrundsätze, insbesondere an Beweisverwertungsverbote, gebunden ist. Zum anderen ist die Beweisregel des § 274 S. 1 StPO zu beachten, nach der Verstöße gegen wesentliche Förmlichkeiten der Hauptverhandlung nur mittels des Sitzungsprotokolls nachweisbar sind.

Die Prozessmaximen im Strafrecht lassen sich also in drei Kategorien einteilen. Dabei fällt auf, dass die Verfahrensgrundsätze zur Gestaltung des Hauptverfahrens im Wesentlichen den allgemeinen Grundsätzen eines jeden gerichtlichen Verfahrens entsprechen. Die meisten der Verfahrensgrundsätze, die insbesondere dem Schutze des Beschuldigten dienen, gehören hingegen fast zum (zumindest juristischen) Allgemeinwissen. Unbekannt sind also allenfalls die Verfahrensgrundsätze zur Gestaltung der Strafverfolgung, die sich allerdings aus dem Gesetz ergeben.

Kurzum, es ist kein Hexenwerk die Prozessmaximen des Strafprozessrechts zu erlernen. Vielleicht kommt dieses Wissen auch im Examen besonders gut an, spätestens in der Praxis lässt sich damit zum Beispiel eine stabile Verteidigung aufbauen.

Iffland Wischnewski Rechtsanwälte
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