Arbeitsrecht & die Digitalisierung - Interview Pia Pracht und Dr. Christoph Müller

Hello "New Work", Goodbye "Nine to Five"!

Moderne Arbeitswelt - Rechtliche Herausforderungen Home Office, mobiles Büro und Ausland

- Interview mit Frau Pia Pracht, Fachanwältin für Arbeitsrecht sowie Herrn Dr. Christoph Müller, Partner und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB -

Goodbye "Nine to Five", hallo "New Work" - Arbeit wird zunehmend unabhängig von örtlichen oder zeitlichen Vorgaben erbracht. Die Präsentation vorbereiten und gleichzeitig die lieben Kleinen hüten, Emails auf der Couch schreiben oder doch lieber im Zug? Kein Problem. Die Digitalisierung macht es möglich. Doch kann auch der Gesetzgeber mit dieser Entwicklung Schritt halten?
 

"New Work": ist das nicht ein Widerspruch in sich, denn Arbeit gibt es doch schon so lange wie es Menschen gibt? Herr Dr. Müller, was verstehen Sie unter diesem Begriff?

Die Arbeitswelt befindet sich im Umbruch. Die fortschreitende Digitalisierung, die oft als Jobkiller gefürchtet wird, hat auch ihre guten Seiten. Arbeit wird flexibler. Arbeitnehmer können zunehmend ihren Arbeitsort und ihre Arbeitszeit individuell gestalten und optimal an ihre Lebens- und Wohnsituation anpassen.

Home Office oder mobiles Arbeiten können unzählige Stunden im morgendlichen Pendlerverkehr ersparen bzw. zeiteffizientes Arbeiten ermöglichen.
 

Arbeitsrecht & Digitalisierung - Ein Dschungel voller neuer Gesetze und Rechtsprechung. Herr Dr. Müller, wie behalten Sie als Rechtsanwalt bei GÖRG da am besten den Überblick?

Die Beschäftigung mit neuen Gesetzen und neuer Rechtsprechung insbesondere des Bundesarbeitsgerichts ist sicherlich notwendig, um am Ball zu bleiben. Auf der anderen Seite kann niemand alles wissen, dafür ist das Arbeitsrecht mittlerweile zu weitläufig. Entscheidend ist, dass man die Fälle richtig einordnen kann und weiß, wo man Gesetze und die einschlägige Rechtsprechung findet, um dem Mandanten zielgerichtet weiterhelfen zu können.

Home Office liegt stark im Trend. Herr Dr. Müller, welche rechtlichen Herausforderungen sind damit verbunden und wie begegnen Sie diesen als Anwalt für Arbeitsrecht?

Von der Einrichtung eines Home Office können sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber profitieren, jedoch müssen einige Spielregeln eingehalten werden. Z.B. muss die Einhaltung der Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes sichergestellt sein und der Arbeitsplatz im Home Office muss den arbeitsschutzrechtlichen Vorgaben genügen. Daher ist z.B. eine Gefährdungsbeurteilung des häuslichen Arbeitsplatzes vorzunehmen. 

Darüber hinaus können sich auch sozialversicherungsrechtliche Problemstellungen ergeben. So z.B. bei der Frage, ob ein Unfall auf dem Weg zur Kaffeemaschine ein Arbeitsunfall ist. Nicht zu vergessen sind auch etwaige Unterrichtungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bei der Einrichtung eines Home Office-Arbeitsplatzes.
 

In den Niederlanden gibt es seit Juli 2015 einen Anspruch auf Home Office. Frau Pracht, würden Sie es begrüßen, wenn deutsche Arbeitnehmer künftig auch einen solchen Anspruch geltend machen könnten?

Auch wenn es in den Niederlanden grundsätzlich einen Rechtsanspruch auf einen Home Office Arbeitsplatz gibt, können auch niederländische Arbeitgeber einen Home Office - Arbeitsplatz verwehren, wenn schwerwiegende Dienst- und Betriebsinteressen entgegenstehen.

Ob ein vergleichbares Einschreiten des Gesetzgebers auch in Deutschland sinnvoll ist, erscheint fragwürdig. Ob die Einrichtung eines Home Offices realisierbar und zweckmäßig ist, hängt zunächst vor allem von der konkreten Tätigkeit ab. Lässt die Tätigkeit grundsätzlich ein Home Office zu, können im Übrigen letztlich die Arbeitsvertragsparteien am besten beurteilen, ob ein Home Office-Arbeitsplatz im Einzelfall realisierbar und zweckmäßig ist. Daher müsste eine etwaige gesetzliche Regelung in jedem Fall genügend Raum für die Berücksichtigung entgegenstehender berechtigter betrieblicher Interessen im Einzelfall bieten.
 

Home Office – des einen Freud, des anderen Leid. Frau Pracht, worauf sollte ein Arbeitgeber unbedingt achten, wenn er Home Office als zulässige Arbeitsform einführt?

Damit das Projekt Home Office gelingt, sollten die Bedingungen in jedem Fall im Rahmen einer mit dem jeweiligen Arbeitnehmer zu treffenden Home Office-Vereinbarung schriftlich fixiert werden. Insbesondere sollten Regelungen über etwaige Zutrittsrechte des Arbeitgebers zur Durchführung der arbeitsschutzrechtlichen Gefährdungsbeurteilung sowie hinsichtlich der Einhaltung der Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes nicht fehlen.

Außerdem sollten Organisation und Kosten der Telekommunikation und die Bereitstellung der Arbeitsmittel geklärt werden. Ferner sollten auch Regelungen zur Beendigung des Home Office getroffen werden. Vor dem Hintergrund, dass der Arbeitnehmer seinen Haushalt regelmäßig mit anderen Personen teilt, erscheint ein gesonderter Hinweis auf den Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen sowie personenbezogenen Daten von Mitarbeitern oder Kunden ebenfalls ratsam. Arbeitgeber sollten auch bedenken, dass die Arbeitnehmer Miete verlangen könnten.

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Mobiler Arbeitnehmer versus klassischer Arbeitnehmer. Welche rechtlichen Herausforderungen stellt die räumliche und zeitliche Entgrenzung der Arbeit an das Arbeitszeit- und Arbeitsschutzgesetz?

Die bestehenden Arbeitsschutzgesetze sind so weit gefasst, dass sie auch flexiblen Arbeitsmodellen wie Home-Office oder mobilem Arbeiten gerecht werden. Allerdings vermag die Anwendung der bestehenden Arbeitszeitgesetze auf flexible Arbeitsmodelle Probleme bereiten, da der Gesetzgeber immer noch den klassischen Achtstundentag vor Augen hat, an den sich die gesetzlich angeordnete ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden anschließt. Die Realität der modernen Arbeitswelt sieht jedoch anders aus. "Nine to Five" ist zum Auslaufmodell geworden.

Viele Arbeitnehmer verteilen ihre tägliche Arbeitszeit individuell und sind auch nach Arbeitsschluss telefonisch oder per Email erreichbar. Solche Arbeitseinsätze stellen streng genommen eine Unterbrechung der gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeit dar mit der Folge, dass die die vollen elf Stunden Ruhezeit erneut zu laufen beginnen. Rechtsprechung oder Gesetzgeber sind hier gefragt.
 

Frau Pracht, eine Ihrer Aufgaben ist die Gestaltung von Arbeitsverträgen – Wie können moderne Arbeitszeitmodelle bereits bei der Vertragsgestaltung umgesetzt werden?

Wenn flexible Arbeitszeit von Beginn an gewünscht ist, sollte sie auch Teil des Arbeitsvertrages sein. So kann aber schon die Vereinbarung einer festen Wochenarbeitszeit flexibel sein, wenn deren Verteilung auf die einzelnen Wochentage zwischen den Parteien abgestimmt werden kann.

Weitergehend können aber auch Arbeitszeitkonten bis hin zu Jahresarbeitszeitkonten vereinbart werden, die bei hohem Arbeitsaufkommen eine höhere Arbeitszeit ermöglichen als in Zeiten mit niedrigem Aufkommen. Auch kann es sinnvoll sein zu vereinbaren, dass weitergehende Regelungen durch Betriebsvereinbarung geschaffen werden, da es oft die Betriebspartner sind, die flexible Arbeitszeitregelungen aufstellen.
 

Viel Wind um die Arbeitszeitdebatte. Herr Dr. Müller, führen flexiblere Arbeitszeiten Ihrer Meinung nach wirklich zu einer besseren Zeitsouveränität oder nur zur Verlagerung der Arbeitszeit in die Freizeit?

Die Lockerung der starren Grenzen des Arbeitszeitgesetzes wird, insbesondere auf Arbeitgeberseite, immer wieder heiß diskutiert. Der Grat zwischen besserer Zeitsouveränität und der bloßen Verlagerung der Arbeitszeit in die Freizeit ist schmal. 

Einerseits können flexible Arbeitszeitmodelle z.B. die Vereinbarkeit von Karriere und Familie fördern. Andererseits tragen flexible Arbeitszeitmodelle aber auch zu einer Verwischung der Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit bei, die von Arbeitnehmern als belastend empfunden werden kann. Hier kann unter anderem die Vereinbarung von Kernarbeitszeiten helfen.

Von der Einrichtung eines Home Office können sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber profitieren, jedoch müssen einige Spielregeln eingehalten werden.
Dr. Christoph Müller

Welche Regelungen wurden bereits geschaffen und welche sind Ihrer Einschätzung nach noch erforderlich, um die Vereinbarkeit von Familie und Karriere weiter zu verbessern?

Über Home Office hatten wir bereits eingangs gesprochen. Wichtig wäre überdies, dass Arbeitnehmer nicht nur die Möglichkeit haben, ihre Wochenarbeitszeit zu reduzieren, sondern auch wieder zu erhöhen. Entsprechende Gesetzesvorhaben sind offenbar unterwegs.
 

Das Mutterschutzgesetz ist über 60 Jahre alt und bisher kaum verändert worden. Welche neuen Regelungen gelten seit dem 1. Januar 2018? Inwieweit profitieren Frauen davon?

Letztlich fallen nun alle Arbeitnehmerinnen unter das Mutterschutzgesetz, also beispielsweise auch Schülerinnen, Studentinnen oder Praktikantinnen. Auch dürfen Arbeitnehmerinnen nun grundsätzlich selbst entscheiden, ob sie beispielsweise nachts arbeiten wollen, was etwa für Ärztinnen von Relevanz ist.
 

Wie weit reicht die Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Einführung flexibler Arbeitsmodelle?

Bei Fragen der Arbeitszeit haben die Betriebsräte weitgehende Mitbestimmungsrechte. Dies gilt auch für flexible Arbeitszeitmodelle, die in hohem Maße mitbestimmungspflichtig sind.

Aktuell ist im Schnitt jeder zweite Arbeitsvertrag zunächst befristet. Führt das nicht zu einem Missbrauch des Teilzeit- und Befristungsgesetztes?

Von einem Missbrauch würde ich nicht sprechen wollen, da der Gesetzgeber sachgrundlose Befristungen für einen Zeitraum von 2 Jahren für zulässig erklärt hat. Unternehmen nehmen insoweit nur gesetzliche Rechte in Anspruch. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber sicher nicht damit gerechnet, dass Befristungen eine solche Rolle spielen werden. In zahlreichen Fällen werden aber befristet Beschäftigte in unbefristete Arbeitsverhältnisse übernommen, so dass sich de facto die Befristung als einer Art verlängerte Probezeit erweist. Ob der Gesetzgeber die Dauer der sachgrundlosen Befristung reduziert, bleibt abzuwarten.

 

Die Arbeitswelt dreht sich immer schneller. Zu welchen rechtlichen Herausforderungen führen Digitalisierung, globaler Wettbewerb und Fachkräftemangel.

In der modernen Arbeitswelt verlagert sich die Arbeit nicht nur zunehmend ins Home Office oder ins mobile Büro, sondern auch ins Ausland. In Zeiten von globalem Wettbewerb und Fachkräftemangel ist es schon längst keine Seltenheit mehr, dass Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer vorübergehend zu Konzernunternehmen ins Ausland entsenden.

In diesen Konstellationen ergeben sich u.a. regelmäßig sozialversicherungsrechtliche Fragestellungen. Das europäische Recht sieht vor, dass bei mitgliedsstaatübergreifenden Sachverhalten stets nur das Sozialversicherungsrecht eines Mitgliedstaates Anwendung finden soll. Dies ist grundsätzlich das Sozialversicherungsrecht des Beschäftigungsstaates.

Allerdings gilt eine Ausnahme für Entsendungen mit einer maximalen Dauer von zwei Jahren. In diesen Fällen unterliegt der entsandte Arbeitnehmer, der normalerweise in Deutschland beschäftigt ist, auch während der Entsendung ins Ausland, dem deutschen Sozialversicherungsrecht.

Wenn flexible Arbeitszeit von Beginn an gewünscht ist, sollte sie auch Teil des Arbeitsvertrages sein.
Pia Pracht

Flexibilität ist das Gebot der Stunde in der modernen Arbeitswelt. Aber auch flexible Arbeitsmodelle brauchen sowohl arbeitsvertragliche als auch gesetzliche Regelungen. Flexible Arbeitsmodelle lassen sich größtenteils mittels der bestehenden arbeitsschutz- und arbeitszeitgesetzlichen Regelungen abbilden. Dennoch wird die zukünftige Herausforderung für Gesetzgeber und Rechtsprechung ein angemessener Ausgleich zwischen zunehmenden Flexibilisierungsbedürfnissen der modernen Arbeitswelt und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer sein.

 

Vielen Dank, Frau Pracht und Herr Dr. Müller für diesen Einblick!

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